Childhood at War and Genocide

Tagungstelegramm: Konferenz über die Erfahrungswelten von Kindern in den Konflikten des 20. Jahrhunderts

Welche Folgen hat es, wenn eine Kindheit von einem Krieg oder Genozid geprägt oder gar ausgelöscht wird? Wie erleben Minderjährige menschengemachte Katastrophen und wie verarbeiten sie ihre Erfahrungen nach dem geglückten Überleben? Inwieweit wurden Kinder als Traumatisierte in die medizinisch-psychologische Nachkriegsforschung und Pädagogik integriert und welche Expertise lag hierfür nach dem Zweiten Weltkrieg und Holocaust in Europa überhaupt vor? Diese und zahlreiche andere Fragen diskutierten 35 Historikerinnen und Historiker auf einer internationalen Tagung, die in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut und dem UCL Institute of Advanced Studies (IAS) vom 17. bis 19. Oktober 2022 am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München veranstaltet wurde. Sie wurde organisiert von Anna Ullrich (Zentrum für Holocaust-Studien am IfZ), Yuliya von Saal (IfZ), Joanna Michlic (UCL Centre for Collective Violence, Holocaust and Genocide Studies, IAS) und Tobias Freimüller (Fritz Bauer Institute).

Die Beiträge und Diskussionen haben erneut gezeigt, dass Kinder nicht nur über agency verfügen und als handelnde Akteure ernst genommen werden müssen, sondern auch, dass die bisherigen Ergebnisse und Erkenntnisse der Kindheitsforschung durchaus fruchtbar auf die aktuellen Konflikte und in die Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen übertragen und dort gewinnbringend angewendet werden können.

Im Rahmen eines Abendvortrags von Nicholas Stargardt (University of Oxford) am 17. Oktober wurde darüber hinaus die Frage diskutiert, welche Quellen Kinder der historischen Forschung hinterlassen und wie mit diesen sehr subjektiven Quellen umgegangen werden kann. Nach einer Begrüßung von Frank Bajohr (Zentrum für Holocaust-Studien am IfZ) und einer Einführung von Sybille Steinbacher (Fritz Bauer Institut) plädierte Stargardt, der zu den Pionieren der historischen Kindheitsforschung zählt, in seinem Vortrag für eine wissenschaftliche Herangehensweise, die mit komplexen und fragmentarischen Quellen arbeiten kann und gleichzeitig das Schweigen, die Leerstellen und vielfache Abwesenheit von Zeugnissen respektiert. Der Referent trat dafür ein, die Subjektivität der Kinder ernst zu nehmen und die Quellen entsprechend zu interpretieren. Dabei präsentierte er einige der seltenen Materialien und subjektiven Zeugnisse von Kindern: von privaten Filmaufnahmen mit versteckten Kindern in Belgien über autobiographische Zeugnisse in den medizinischen Aufzeichnungen der Tötungsanstalt Hadamar bis hin zu Zeichnungen, die Kinder in Theresienstadt und kurz nach der Befreiung von Auschwitz angefertigt haben.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erhielten Themen und Diskussionen der Tagung eine erschreckende Aktualität.

Einen ausführlichen Tagungsbericht finden Sie auf der Plattform H-Soz-Kult.