Forschung zu historisch „authentischen“ Orten

Das Verbundprojekt „Urban Authenticity“ stellt seine neue Website vor

Die barocke Stadtkirche, eine Gründerzeitvilla, eine Parkanlage – solche Bauten gelten als „authentisch“ und repräsentativ für Städte. Doch was ist mit Bauten der jüngeren Geschichte, speziell der NS-, DDR- oder westdeutschen Nachkriegsgeschichte?

Das Forschungsprojekt „Urban Authenticity: Creating, Contesting, and Visualising the Built Heritage in European Cities since the 1970s” hat sich diesen Fragen gewidmet und präsentiert die Ergebnisse nun auf einer interaktiven Website. Gefördert von der Leibniz-Gemeinschaft dokumentieren die Projektpartner Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner (IRS), das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V. (ZZF), das Institut für Zeitgeschichte, das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft und der Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. dort Bau- und Diskursgeschichte anhand von über 50 Beispielen.

Wie, warum und durch wen werden Bauten als „authentisch“ erklärt?

Das Berliner Humboldt Forum, der Bierpinsel in Steglitz, das Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam, die Altstadt Jüterbog, das Neue Stadtzentrum Cottbus, das Kulturhaus Schwedt – die Website urban-authenticity.eu zeigt die Geschichten von Bauten und urbanen Räumen überwiegend in Berlin und Brandenburg und kontextualisiert sie mit Hilfe einer Auswahl weiterer Beispiele aus Europa. So wird etwa auch auf urbane Räume und Architektur in Marseille, Szczecin und Nürnberg – durch Julia Ziegler, die am IfZ das Projekt  Urbane Authentizität: Zivilgesellschaftliches Engagement und Stadtplanung in Nürnberg seit 1970 bearbeitet – eingegangen. Die Website geht dabei den Fragen auf den Grund, wie, warum und durch wen manche Bauten als besonders repräsentativ, „authentisch“ und erhaltenswert markiert wurden, während anderen dieses Label vorenthalten blieb, sie dem Verfall preisgegeben oder abgerissen wurden. Auch stellt sie dabei den Bezug her zu den weithin beachteten geschichtspolitischen Debatten der jüngeren Zeit, etwa zum Berliner Humboldt Forum, der kontroversen Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche oder dem Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Steckbriefe thematisch und räumlich ansteuerbar

Die gut 50 „Steckbriefe“ beleuchten die Geschichten der Bauten in knappen Erklärtexten, zeitgenössischen Zitaten und dokumentarischen Fotos. Die Inhalte sind sowohl über eine Karte als auch thematisch ansteuerbar und jeder Steckbrief ist verschlagwortet. Oberthemen wie „Aufwertung“, „Abwertung“, „Nostalgie“, „Vermarktung“ oder „Zukunftsort“ strukturieren die Inhalte.

„Nürnberger Steckbriefe“ des IfZ

Die Frage nach Authentizität löst auch in Nürnberg zahlreiche Debatten über den Umgang mit dem kulturellen Erbe und kulturellem Wandel aus. Dass die Vermarktung der Sehnsucht nach der guten alten Zeit sehr erfolgreich sein kann, zeigt sich am Beispiel des Handwerkerhofs „Alt-Nürnberg“ – eine marktähnliche Veranstaltung mit mittelalterlichem Flair am Frauentorturm. Umstritten ist die Inwertsetzung funktionaler Architektur der 1950er Jahre, die zu Rekonstruktionsdebatten um das Pellerhaus in der Nürnberger Altstadt führte. Und auch am ehemaligen Reichsparteitagsgelände zeichnen sich verschiedene Zeitschichten ab. Die Stadt Nürnberg muss sich den Fragen stellen, ob die Architektur gezielt verfallen soll, erhalten, umgenutzt oder gar rekonstruiert werden soll.

 



© Institut für Zeitgeschichte
Content