Die Berlinale und die Ära Bauer

Welchen Einfluss hatte Alfred Bauers frühere Karriere im Filmwesen des NS-Regimes auf die "Berlinale", die Bauer selbst als Gründungsdirektor von 1951 bis 1976 maßgeblich mitaufgebaut hatte? Diese Fragestellung steht im Mittelpunkt einer neuen Studie, die das IfZ im Auftrag der Festivalleitung erstellt hat. Sie ist Fortsetzung einer ersten Studie des IfZ über Alfred Bauer aus dem Jahr 2020. Diese hatte belegt, dass der frühere Berlinale-Leiter durch seine Tätigkeit in der Reichsfilmintendanz eng mit dem Propaganda-Apparat des Nationalsozialismus verflochten war.

Alfred Bauer war von 1942 bis 1945 Referent der Reichsfilmintendanz (RFI) gewesen, einer zentralen Institution zur Steuerung der deutschen Filmproduktion im NS-System. Wie zunächst durch Medienveröffentlichungen bekannt wurde, hatte Bauer hier eine deutlich bedeutendere Rolle gespielt als er nach 1945 glauben machen wollte. Die Reichsfilmintendanz war neben Besetzungs- und Personalfragen, darunter auch Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit, u. a. auch für die Koordinierung des Filmvertriebs, die Filmzensur sowie die Filmproduktion während des „totalen Kriegs“ verantwortlich. Die im September 2020 veröffentlichte Vorstudie des IfZ belegte, dass Alfred Bauer während seines Entnazifizierungsverfahrens von 1945–47 durch bewusste Falschaussagen, Halbwahrheiten und Behauptungen die Bedeutsamkeit seiner Rolle während der Nazizeit verschleiert hatte. So war Bauer nicht wie von ihm behauptet ein Gegner des NS-Regimes gewesen, sondern hatte durch seine Position im NS-Filmwesen zur Stabilisierung und Legitimierung der NS-Herrschaft beigetragen.

Kontinuitäten und Brüche in der Film- und Kulturszene nach 1945

Welche Folgen hatte diese funktionale Verstrickung Bauers für seine spätere Tätigkeit als Gründungsdirektor der Berlinale? Wurde Einfluss auf das Programm oder das Personal genommen, muss sich der Blick auf die Gründungsjahre des Festivals verändern? Derartige Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten in der Film- und Kulturszene der jungen Bundesrepublik offenbaren bislang eine Forschungslücke.
In einer zweiten Studie unter dem Titel „Schaufenster im Kalten Krieg. Neue Forschungen zur Geschichte der Berlinale in der Ära Alfred Bauer (1951-1976)” kommen die Historiker Andreas Malycha und Wolf-Rüdiger Knoll zu folgenden Schlüssen:

  • Schon in den 1950er Jahren kursierten Gerüchte über Bauers Karriere im Nationalsozialismus. Bauer setzte sich gegen diese z.T. diffus formulierten Anschuldigungen vehement zur Wehr und wies sie als „Verleumdungen“ zurück. 1960 prüfte die Berliner Senatsverwaltung die Vorwürfe gegen Bauer. Wesentliche Dokumente dieser Prüfung sind nach jetzigem Kenntnisstand archivalisch nicht überliefert. Offenbar reichten die gesammelten Informationen aber nicht aus, um personelle Konsequenzen zu ziehen.
  • Noch vor Beginn der ersten Berlinale war Bauer geneigt, einen Film Karl Ritters, einem der prominentesten NS-Propagandaregisseure, unter Verheimlichung des Urhebers zu zeigen, was durch die Senatsverwaltung verhindert wurde. Es gibt darüber hinaus aber keine weiteren Hinweise, dass Bauers Filmauswahl für die Berlinale ideologisch belastet war oder gezielt NS-Regisseure ins Programm genommen wurden. Bauer betonte stattdessen seine apolitische Einstellung zum Medium Film. Dennoch war seine Tätigkeit als Festivalleiter nicht frei von Politik, sondern fügte sich ins neue System des Ost-West-Konflikts: Demnach sollte die Berlinale als „Schaufenster der freien Welt“ mithilfe des Kulturguts Film die Überlegenheit des westlichen Systems demonstrieren.
  • Bauer war in den Anfangsjahren der Berlinale nicht der einzige Akteur, der als NS-belastet betrachtet werden muss. Allerdings wurde das Festival durch derartige „Netzwerke“ nicht geprägt: Eine wesentliche Rolle spielten letztlich auch Personen, die dem NS-Regime kritisch gegenübergestanden hatten und z.T. auch politisch verfolgt worden waren. Im Gründungsausschuss der Berlinale trafen demnach frühere Unterstützer und Gegner des NS-Regimes aufeinander, die unter Beobachtung der britischen und amerikanischen Siegermächte daran arbeiteten, die Berlinale in der neuen Frontstellung des Kalten Krieges zu etablieren.
  • Alfred Bauers Verhältnis zur Senatsverwaltung war wiederholt konfliktreich und von fortwährenden Kompetenzstreitigkeiten geprägt. Zahlreiche Spannungen ergaben sich durch seinen eigenmächtigen Arbeitsstil. Allerdings trug Bauer durch sein Organisationstalent, sein Bekenntnis zur Förderung qualitativ hochwertiger Filme und seine internationalen Netzwerke maßgeblich zum Erfolg der Berlinale bei.

 

Die Studie steht in einer Kurzfassung zum Download bereit und steht im Mittelpunkt einer öffentlichen Podiumsdiskussion am Mittwoch, 2. November in Berlin.



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