Wer war Marta Hillers?

„Mehr als Anonyma“, urteilt völlig zurecht die Journalistin Clarissa Schnabel in der gleichnamigen Biographie1. Tatsächlich bietet das selbstbestimmte Leben von Marta Hillers, die sich noch zu Schulzeiten für die Ideen des Kommunismus begeisterte, ehe sie für die NS-Propaganda tätig wurde, eine Projektionsfläche für verschiedenste Interpretationen und Lebensentwürfe. Denn das Leben der wahren Anonyma war nicht weniger komplex und spannend als ihr Tagebuch oder das Zeitalter, in dem sie gelebt und gewirkt hat.

Hillers wurde am 26. Mai 1911 in Krefeld im Rheinland in einer katholischen Familie geboren. Sie emanzipierte sich jedoch relativ früh vom Leben ihrer bürgerlichen Eltern. Wie so viele andere, auch Intellektuelle, mit denen sie verkehrte und befreundet war, ließ sie sich von den Ideen der jungen Sowjetunion begeistern. Laut ihren eigenen Angaben (im Lebenslauf, RGASPI, F. 495, op. 205, d. 352) wurde sie mit 19 Jahren aus politischen Gründen, auf Grund der antireligiösen und kommunistischen Propaganda, die sie betrieb, von der Schule (Realgymnasiale Studienanstalt Krefeld) verwiesen. Am 20. September 1930 trat Marta Hillers der KPD bei, wirkte in der Agitpropleitung der Straßenzelle und des Unterbezirks Krefeld mit. Sie arbeitete für die deutsche und kommunistische bzw. russische Parteipresse, bei der DEROP (Deutsche Vertriebsgesellschaft für Russische Ölprodukte) in Düsseldorf und war als Instrukteurin für die Frauen der Ortsgruppe Benrath bestimmt.

Ende 1931 ging sie als Redaktionssekretärin zu der staatlichen Bildagentur Sojusfoto nach Moskau. Während ihrer Aufenthalte dort bewarb sie sich für die Aufnahme in die KPdSU. Von dem Zentralkomitee der KPD wurde sie als eine „aktive Genossin“ zur Überführung empfohlen. Das in Moskau eingerichtete Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) befürwortete ihre Kandidatur ebenfalls. Wegen ihrer Ausreise 1933 nach Frankreich konnte ihrem Antrag jedoch nicht stattgegeben werden. (Die Dokumentation wird heute im Russischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte, RGASPI, aufbewahrt.)

Hillers Begeisterung für die Sowjetunion hielt jedoch nicht lange an. Im Tagebuch wird diese ihr wohl peinliche Vergangenheit nur episodenhaft angedeutet und ihr Russisch als gebrochen dargestellt.

Im Jahr 1933 reiste sie nach Frankreich aus. Dort studierte Hillers ein Jahr an der Sorbonne Geschichte und Kunstgeschichte und kehrte anschließend in die Hauptstadt des inzwischen nationalsozialistischen Deutschlands zurück. Als freie Journalistin schrieb sie nun für zahlreiche Periodika: Die Gartenlaube, Berliner Morgenpost, Berliner Hausfrau, Deutsche Allgemeine Zeitung, Berliner Lokal-Anzeiger und viele andere. 1940/1941 war sie im Verlag der Deutschen Arbeitsfront und ab dem 1. April 1941 im „Hilf-Mit-Werk“ tätig.

 

Mit 34 Jahren erlebte sie schließlich das Ende des „Dritten Reichs“. Im Berliner Atelier ihres Geliebten Hans Wolfgang Hillers (alias „Gerd“ im Buch), der zugleich ihr Großcousin war, notierte sie ihre Erlebnisse in drei Heften, die nach dem Krieg zum Tagebuch der anonymen Berlinerin wurden.

In den ersten Nachkriegsjahren blieb Marta Hillers in Berlin, wo sie für die Jugend-Zeitschrift Ins neue Leben im britisch lizensierten Minerva-Verlag arbeitete (1945–1949). Das Blatt erschien zwei Mal monatlich in einer Auflage von 100.000 Stück in allen vier Besatzungszonen, richtete sich an die Schüler zwischen neun und zwölf Jahren und wurde als Lesebuchersatz in den Schulen eingesetzt. Im Jahr 1949 wurde der Verlag als Folge der Berlin-Blockade und finanzieller Schwierigkeiten eingestellt und Marta Hillers wechselte zur monatlich erscheinenden illustrierten Schülerzeitschrift "Gib Acht!“ im Universum Verlag, die erzieherische Beiträge und Handlungsanweisungen für die Jugend abdruckte. 

Nach der Heirat mit dem bekannten Schweizer Goldschmied Karl Albert Dietschy im Jahr 1955 zog sie nach Basel und setzte ihre journalistische Tätigkeit dort fort. Als Baseler Korrespondentin schrieb sie für die deutschen Zeitschriften Textil-Wirtschaft und Lebensmittel Zeitung. Sie verfasste außerdem Artikel für die illustrierte Schülerzeitschrift Mach mit. Zugleich arbeitete sie als freie Journalistin für mehrere Medien in der Schweiz: u. a. für Basler Woche, Nebelspalter, Die Tat, Wir Brückenbauer, Basler Nachrichten und Basellandschaftliche Zeitung. Sie publizierte ihre Beiträge als Marta Dietschy, Dietschy-Hillers oder Marta Hill, meistens aber unter den Pseudonymen "Madie" oder "Mahi" oder unter den Abkürzungen MDH und MH. Sie verfasste auch Radiohörspiele und versuchte sich als Verfasserin von kleineren Erzählungen.

Den späten Erfolg als Autorin konnte sie jedoch nicht miterleben. Am 16. Juni 2001 starb sie im Alter von 90 Jahren im Baseler Spital und wurde nach ihrem eigenen Willen neben ihrem Mann im Dietschy’schen Familiengrab auf dem Friedhof am Hörnli in Basel bestattet.  

1) Clarissa Schnabel, Mehr als Anonyma. Marta Dietschy-Hillers und ihr Kreis, Norderstedt 2015; hier auch mehr biografische Informationen zu Marta Hillers.