"Grausig wie das Höllental"

Kardinal Faulhabers Tagebuch aus dem Jahr 1938 geht online

Die Tagebücher des früheren Erzbischofs von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, die seit 2015 in einer Online-Edition zugänglich gemacht werden, sind um einen weiteren Jahrgang ergänzt worden: Auf der Seite www.faulhaber-edition.de hat das Forscherteam des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin und des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster nun den Jahrgang 1938 freigeschaltet. Öffentlich präsentiert wurden die Einträge bei einer Abendveranstaltung in der Katholischen Akademie Bayern.

Düstere Vorahnungen quälen Michael von Faulhaber zu Beginn des Jahres 1938: „Vor meinen Augen liegt das Jahr schwarz wie die Nacht und grausig wie das Höllental“. Doch die Radikalität und die Brutalität der Maßnahmen des NS-Staates gegenüber seinen erklärten Feinden, dem „Weltjudentum und seinen schwarzen und roten Bundesgenossen“, übertreffen des Erzbischofs schlimmste Befürchtungen. Schon früh im Jahr notiert Faulhaber in einem Anflug von Resignation in sein Tagebuch, dass das Vorgehen des Regimes auf nichts weniger als „die Vernichtung des Christentums“ abziele.
Moritz Fischer und Julius Kiendl, beide wissenschaftliche Mitarbeiter im Editionsprojekt, stellten die wichtigsten Ereignisse des Jahrgangs vor.

Goebbels beschwert sich über "freche Reden" des Kardinals

Zu diesem Zeitpunkt machen die Nationalsozialisten keinen Hehl mehr aus ihren konkordatswidrigen Absichten, das katholische Vereins- und Verbandswesen endgültig zu liquidieren, die Ordensschulen ausnahmslos zu schließen sowie sämtliche kirchliche Schulen in staatliche Gemeinschaftsschulen umzuwandeln. Mit immer neuen Eingaben bei den zuständigen Behörden tritt der Erzbischof diesen rechtswidrigen Maßnahmen entgegen, „aber vergeblich“, wie er schreibt. Auch in seinen Predigten findet er so deutliche Worte für die Handlungen der Nationalsozialisten, dass Reichspropagandaminister Goebbels am 24. Februar in seinem Tagebuch festhält: „Cardinal Faulhaber hat wieder eine freche Rede gegen uns gehalten. Aber unsere Rache wird nicht lange auf sich warten lassen.“

Engagement für verfolgte Jüdinnen und Juden

Immer verzweifelter gestaltet sich die Lage der getauften Juden. Für die Rettung sogenannter „nichtarischer Christen“, die sich an ihn wenden, engagiert sich Faulhaber stark, indem er u.a. in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband in München und dem Raphaelsverein in Hamburg deren Auswanderung fördert. Dagegen erkennt er keine originäre Zuständigkeit der katholischen Kirche, Verfolgten anderer Religionsgemeinschaften zur Seite zu stehen, weswegen er jegliches Engagement zugunsten deutscher Juden unterlässt, wiewohl er deren Schicksal zutiefst bedauert. Den Abriss der jüdischen Hauptsynagoge im Zentrum Münchens im Sommer thematisiert er in seinem Tagebuch nicht. Lakonisch vermerkt er über die Reichspogromnacht: „Heute Nacht die Synagoge in der Herzog-Rudolfstraße niedergebrannt und die Auslagen der Judengeschäfte eingeschlagen.“

Sturm auf das erzbischöfliche Palais

Akribisch und ausführlich fällt hingegen seine Schilderung der ebenfalls dramatischen Ereignisse in der Nacht vom 11. auf den 12. November aus, als ein von der NS-Propaganda aufgehetzter Mob aus NSDAP-Mitgliedern, HJ, SS- und SA-Männern unter „Nach Dachau“- und „In Schutzhaft mit dem Hochverräter“-Rufen versucht, gewaltsam in das Erzbischöfliche Palais ein- und zu ihm vorzudringen. Der Sturm auf das Palais wird im letzten Moment, kurz vor dem Bersten des massiven Eingangstores, gestoppt – von der Polizei, aber vermutlich auch auf Anweisung eines hohen Parteifunktionärs.

Faulhaber und die Juden

Faulhabers ambivalentes Verhältnis zu Juden stand so auch im Mittelpunkt des Vortrages von Andreas Wirsching. So galt der Münchner Kardinal zwar durch seine viel beachteten Adventspredigten des Jahres 1933 als “Freund der Juden“. Dennoch rührte der Kirchenmann keinen Finger, um seinen Einfluss gegen die Judenverfolgung geltend zu machen. Stattdessen trennte er strikt zwischen dem alttestamentarischen Gottesvolk und dem Judentum nach Christi Geburt. Sein Einsatz blieb so auch auf getaufte Jüdinnen und Juden beschränkt. Nicht zuletzt fürchtete Faulhaber wohl auch aus taktischen Motiven, ein Eintreten für die Juden würde den braunen Machthabern einen weiteren Vorwand liefern, ihre Verfolgung auch auf die katholische Kirche auszuweiten.

Faulhaber - Das Editionsprojekt

Michael Kardinal Faulhaber hat seit seiner Zeit als Bischof von Speyer Tagebuch geführt und darin seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten festgehalten. Diese Quelle wird im Projekt „Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)“ wissenschaftlich aufbereitet und im Internet unter www.faulhaber-edition.de veröffentlicht. Bisher sind die Jahrgänge 1911-1919, 1933-1937 und 1945-1948 vollständig abrufbar. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können.



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