"Funktionäre mit Vergangenheit"

Mehr als zwei Drittel der ersten Funktionärsriege im Bund der Vertriebenen haben sich in der NS-Diktatur als Mitläufer, zum Teil sogar Mittäter erwiesen. Dies hat die aktuelle Studie des Instituts für Zeitgeschichte "Funktionäre mit Vergangenheit" zu Tage gefördert. Welche Konsequenzen sollte der Bund der Vertriebenen aus der Studie ziehen? Ist die hohe NS-Belastung des ersten BdV-Präsidiums ein spezifisches Problem des Vertriebenenverbandes? In welchem Maße ist sie symptomatisch für die politischen Funktionseliten der jungen Bundesrepublik? Diese Fragestellungen diskutierte ein prominent besetztes Podium am 4.Dezember auf Einladung des Instituts für Zeitgeschichte im Collegium Hungaricum Berlin.


Zur Gesprächsrunde, die von Peter Haslinger, dem Direktor des Herder-Instituts moderiert wurde, gehörten Erika Steinbach, die amtierende Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, "Spiegel"-Redakteur Klaus Wiegrefe und der Autor der Studie, Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte.

Nach Ansicht von Erika Steinbach hat sich der BdV mit seiner Bereitschaft, die eigene Vergangenheit kritisch zu beleuchten,beispielhaft gezeigt: "Jetzt sind auch andere Organisationen gefordert,
sich uns anzuschließen." Man dürfe bei der Frage nach der braunen Vergangenheit von Verbandsfunktionären nicht nur auf den BdV schauen, zumal dessen Mitglieder in den Nachkriegsjahren ein "Sonderschicksal" geteilt hätten.


Wolfgang Thierse verwies dagegen auf die überdurchschnittliche hohe Zahl an NS-belasteten Vertriebenenfunktionären und forderte Erika Steinbach auf, angesichts der Fakten die "Lebenslüge" des BdV zu beenden: "Der BdV
hat sich immer als Opferverband stilisiert." Dies könne so nicht länger
akzeptiert werden und müsse auch Konsequenzen für die Arbeit des BdV
in der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" haben.


Im gleichen Sinne fordert Klaus Wiegrefe den BdV auf, seine Erinnerungspolitik zu prüfen: "Es gibt wohl einige, die man von den Ehrungslisten streichen sollte." Der "Spiegel" hatte bereits 2006 Recherchen über die NS-Vergangenheit von Vertriebenenfunktionären vorgelegt und damit den Anstoß für die wissenschaftliche Untersuchung der Präsidiumsbiographien gegeben.


Auch Michael Schwartz nannte es unumgänglich für den BdV, das interne Geschichtsbild zu revidieren und ein neues Täter-Opfer-Verständnis zu entwickeln. "Es taugt nicht, Opfer zu sakralisieren, man muss auch Zusammenhänge herstellen." Zugleich habe die Studie versucht, über die konkreten Biographien der BdV-Funktionäre hinaus gesellschaftliche Strukturen und das Verhalten von Funktionseliten zu beschreiben. Vor diesem Hintergrund erhoffe er sich von seinem Buch auch Anstoß für weitere Forschung über die NS-Belastung von bürgerlichen Funktionseliten und deren Wiederaufstieg in der Nachkriegs-Demokratie.


Das Institut für Zeitgeschichte legte mit dieser Diskussion in Berlin-Mitte den Fokus auf die gesellschaftspolitischen Konsequenzen der Studie. Vorausgegangen war bereits eine Podiumsdiskussion mit
Osteuropaexperten und Historikern in München.

Mehr zur Diskussion in München finden Sie <link record:tt_news:47 internal-link>hier.

Für weitere Informationen zum Studie "Funktionäre mit Vergangenheit"  klicken Sie <link record:tt_news:49 internal-link>hier.



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