"Die Rosenburg"

Wie ist das Bundesjustizministerium in der Nachkriegszeit mit seiner NS-Vergangenheit umgegangen? Mit der Studie „Die Rosenburg“ legt eine Historikerkommission eine Bestandsaufnahme dieses dunklen Kapitels vor. Die Wissenschaftler fragen nach personellen Kontinuitäten zwischen dem „Dritten Reich“ und der jungen Bundesrepublik sowie nach den Folgen ungebrochener Karrieren für die Gesetzgebung, beispielsweise bei der Verfolgung von NS-Verbrechen. Am 8. Juli stellten sie ihre bisherigen Ergebnisse gemeinsam mit Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im Institut für Zeitgeschichte vor.

 

In einem Impuls-Referat stellte Dr. Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte die Lesart infrage, dass die Bundesrepublik den Systemwechsel nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ scheinbar „problemlos“ vollzogen habe. Die alte These vom strikt rechtspositivistischen Gesetzesgehorsam, der die Juristen im NS-Staat "wehrlos" gemacht habe, sei von der Forschung inzwischen widerlegt, die Frage nach der Bedeutung personeller Kontinuitäten daher durchaus aktuell. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wandte sich daher auch entschieden gegen Kritik an dem Projekt, die in den Medien verlautete: Es gehe nicht nur darum, bereits bestehendes Wissen über die Rolle der Behörde im NS-Staat zu ergänzen. Gerade bezüglich des Umgangs mit dieser Vergangenheit in der Bundesrepublik seien noch viele Fragen offen, beispielsweise, welche Auswirkungen personelle Kontinuitäten auf die konkrete Gesetzgebungsarbeit etwa hinsichtlich der Familienpolitik oder der Verjährungsfrage hatten.

 

Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, der die Podiumsdiskussion moderierte, wies auf die unterschiedlichen Deutungen in der Wissenschaft hin, in der das Bild des Justizministeriums in der jungen Bundesrepublik erheblich zwischen einer professionellen Elite in neuer Funktion oder aber einer Ansammlung „furchtbarer Juristen“ schwanke. Prof. Dr. Manfred Görtemaker, der zusammen mit Prof. Dr. Christoph Safferling die Historikerkommission leitet, betonte, dass Schwarz-Weiß-Malerei in dieser Frage der Situation nicht gerecht werde. Aus den bisherigen Ergebnissen lasse sich ableiten, dass das Bild sehr viel differenzierter gezeichnet werden müsse, weshalb beide Richtungen sich nicht unbedingt ausschlössen: Einzelbeispiele ließen sich sowohl für die eine als auch für die andere Lesart finden. Um eine flächendeckende Einschätzung abzugeben, sei es noch zu früh. Die Frage nach Mentalitätsüberhängen aus dem „Dritten Reich“ beantwortete Safferling damit, dass es trotz des Entnazifizierungsprozesses in der Nachkriegszeit zu einem Reformstau im Strafrecht gekommen sei. Man habe sich hier beispielsweise auch am Rechtssystem in der Weimarer Republik vor 1933 orientiert und Entscheidungen damit gerechtfertigt.

 

 

Zarusky merkte zum deutschen Umgang mit der Vergangenheit in der Nachkriegszeit kritisch an, dass ein demokratischer Aufbruch in Form eines Schweigepakts nicht funktionieren könne. Prof. Dr. Abi Pitum, jüdischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in München und Mitglied des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, dagegen bezeichnete das weitverbreitete Verschweigen der Verbrechen nach 1945 als „Mittel zum Weiterleben“, wobei er vor allem die Opferperspektive in den Blick nahm.

 

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum meldete sich mit Hans-Jochen Vogel auch ein Bundesjustizminister a. D. zu Wort. Er regte die Wissenschaftler zur Vorsicht mit moralischen Wertungen an und plädierte für ein ähnliches Projekt, das sich mit der Geschichte des Bundestags beschäftigen solle, der in entscheidende Gesetzgebungsprozesse involviert war. Außerdem bekundete er der aktuellen Amtsinhaberin seinen Respekt dafür, dass der Auftrag erteilt wurde. Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass es heute im Vergleich zu früheren Jahrzehnten nicht mehr um personelle Konsequenzen gehe, sondern darum, ein realistisches Bild des Bundesjustizministeriums zu gewinnen. Niemand sei mehr in der Situation, sich rechtfertigen zu müssen.

 

Das Projekt der Historikerkommission, das ausschließlich aus dem Bundeshaushalt finanziert wird, soll 2015 abgeschlossen werden.



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