Ein Buch mit Geschichte
IfZ-Bibliothek restituiert ein Werk aus dem Besitz von Max Sachs
Über 200.000 Bücher und Zeitschriftenbände befinden sich im markanten Turm des Instituts für Zeitgeschichte an der Münchner Leonrodstraße. Einige von ihnen sind selbst Geschichte. Die Bibliothek des IfZ hat nun im Rahmen ihrer Provenienzforschung die rechtmäßigen Erben eines Buches aufgespürt, das seinem Eigentümer offensichtlich von den Nazis geraubt wurde: Max Sachs, Journalist und Landtagsabgeordneter in Sachsen, der aufgrund seiner kritischen Berichterstattung, seiner politischen Haltung und nicht zuletzt seiner jüdischen Herkunft 1935 im KZ Sachsenburg grausam ermordet wurde.
Seit sechs Jahren betreibt die IfZ-Bibliothek als internes Projekt die Verzeichnung von Provenienz-Merkmalen, wie sie v.a. in den älteren Beständen immer wieder aufzufinden sind. Über 9.700 Spuren konnten so bereits dokumentiert werden: Etwa Stempel einer früheren Bibliothek, Aussonderungsvermerke der US-Militärregierung, private Besitzeinträge oder Widmungen, teils auch von exponierten Personen der Zeitgeschichte. Als Besonderheit war dem IfZ-Bibliotheksteam dabei der Aufkleber „Ex libris Max Sachs“ auf der Innenseite des Einbandes von Emil Julius Gumbels Buch „Denkschrift des Reichsjustizministers zu ‚Vier Jahre politischer Mord‘“ aufgefallen. Max Sachs hat demnach diese berühmte Kampfschrift aus den frühen Weimarer Jahren, in der Gumbel akribisch nachwies, wie unterschiedlich die Justiz seinerzeit politische Morde aus dem rechten und linken Spektrum aburteilte, in seiner umfangreichen Büchersammlung besessen. Ähnlich wie die ungleich prominentere NS-Raubkunst gelten entsprechend der „Washingtoner Erklärung“ auch Bücher als Kulturgut, das offiziell restituiert werden muss. Bibliotheksleiter Daniel Schlögl: „Wir haben deshalb den Fall in die Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste eingespeist und konnten so in Zusammenarbeit mit der Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden die rechtmäßigen Erben von Max Sachs in den USA ermitteln.“
Max Sachs wurde von den Nazis brutal ermordet
Max Sachs war 1883 in Breslau geboren und hatte nach einem Studium der Handelswirtschaft und einer Promotion in Staatswissenschaften für mehrere SPD-Parteizeitungen gearbeitet. Im Januar 1911 übernahm er die Wirtschaftsredaktion der „Dresdner Volkszeitung“ und war bis zum Verbot der Zeitung durch die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 für die Ressorts Innenpolitik, Außenpolitik und Handel zuständig. In Dresden engagierte sich Max Sachs auch politisch und saß von 1922 bis 1926 für die SPD im sächsischen Landtag. Schon kurz nach der „Machtergreifung“ wurde Max Sachs zur Zielscheibe der Nationalsozialisten: Im März 1933 wurde er von der Polizei verhaftet, gefoltert und saß vier Monate in Haft. Konnte seine Familie damals noch seine Freilassung erwirken, so wurde er im September 1935 erneut verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenburg verschleppt. Dort wurde er von der SS so brutal gefoltert, dass er am 5. Oktober 1935 starb. Die Umstände seines Todes sorgten sogar dafür, dass die Oberstaatsanwaltschaft Chemnitz ermittelte und einige Beteiligte bei einem Prozess vor dem Landgericht Chemnitz 1936 zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden.
Seine Bibliothek geriet ebenfalls ins Visier von SA und SS: Max Sachs‘ Tochter Klara wusste später zu berichten, dass die Nationalsozialisten seine Büchersammlung nach „verbotener Literatur“ durchsuchten. Nach Darstellung im personengeschichtlichen Lexikon zur Geschichte Sachsens wurde seine Privatbibliothek sogar verbrannt, doch scheinen einige seiner Bücher auch ins Reichssicherheitshauptamt in Berlin verbracht worden zu sein. Wie der Weg des Buchs „Vier Jahre politischer Mord“ genau verlief, ließ sich bislang nicht rekonstruieren – fest steht aber, dass das Buch 1958 vom Institut für Zeitgeschichte ganz regulär für 10 Mark beim Berliner Buchhändler Hugo Streisand erworben wurde und seither in der Münchner Leonrodstraße für die Forschung zur Verfügung stand. Dort wird es auch weiterhin stehen, denn die Enkel von Max Sachs, die Söhne seiner Tochter Klara, die heute in New Jersey und Texas leben, haben dankenswerterweise auf eine Rückgabe verzichtet und stattdessen beschlossen, das Buch mit einem „Depositalvertrag“ der IfZ-Bibliothek als Dauerleihgabe zu überlassen. Unter der Signatur „H 274“ steht nun das Buch über politische Morde als geschichtliche Quelle für die 1920er Jahre wie auch als historisches Dokument zur Verfügung - mit dem Ex Libris seines früheren Eigentümers, der zynischerweise selbst Opfer eines solchen politischen Mordes geworden ist.
Weitere Informationen über Max Sachs:
Homepage der Gedenkstätte Sachsenburg
Sächsische Biografie - das personengeschichtliche Lexikon zur Geschichte Sachsens