Die Meissener Porzellanmanufaktur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Institut für Zeitgeschichte München–Berlin und Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 11. und 12. März 2021

Workshopbericht von Charlotte Moors und Charlotte Wittenius (IfZ)

Die Porzellanmanufaktur Meissen ist ein Ausnahmebetrieb Sachsens. In ihrer 300-jährigen Geschichte war sie sowohl eine identitätsstiftende, repräsentative Marke als auch ein staatliches Wirtschaftsprojekt. Der interne Workshop der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und des Institutes für Zeitgeschichte München-Berlin beleuchtete Möglichkeiten eines potenziellen gemeinsamen Forschungsprojektes mit einer multidisziplinären Betrachtung des Unternehmens und seiner Rahmenbedingungen. Durch die Verbindung wirtschafts-, politik- und kunsthistorischer Aspekte entstand über zwei Veranstaltungstage ein Verständnis für den komplexen Kontext und Handlungsraum der Manufaktur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während am ersten Tag des Workshops die Transformationsprozesse der DDR im Fokus standen und sowohl der gesellschaftliche Stand des Unternehmens kontextualisiert (PANEL 1) als auch innere Prozesse von DDR-Betrieben betrachtet wurden (PANEL 2), standen am zweiten Tag wirtschaftliche Herausforderungen der Transformationszeit (PANEL 3) und allgemeine Dynamiken der Porzellanproduktion (PANEL 4) zur Diskussion.

Nach einer Begrüßung von GILBERT LUPFER (Dresden) und HERMANN WENTKER (Berlin), folgte JULIA WEBER (Dresden) mit einer inhaltlichen Einleitung, die einen Überblick zur 300jährigen Geschichte der Porzellanmanufaktur gab. Dabei wurde deutlich, dass an diesen Ausnahmebetrieb mit identitätsstiftender Bedeutung stets hohe ökonomische, politisch-repräsentative und künstlerische Anforderungen gestellt wurden, die sich teilweise auch widersprachen. Eine Konstante sei der Rückbezug auf die große barocke Tradition, die zugleich Kapital und Fluch sei. Die Einführung schloss mit einer Darstellung der aktuell brisanten Lage der Manufaktur, die erneut die Frage aufwirft, welche Bedeutung dieses Traditionsunternehmen für die heutige Gesellschaft hat.

RAINER KARLSCH (Berlin) referierte im ersten Panel darüber, wie die Meissener Porzellanmanufaktur wirtschaftsgeschichtlich ihre Sonderstellung durch die DDR-Zeit hindurch behalten konnte und stellte die These auf, dass Meissen als Möglichkeit für die sächsische Regierung gesehen worden sei, an wirtschaftliche Erfolge vor dem Zweiten Weltkrieg anzuknüpfen. So sei Meissen eine der wenigen verbliebenen global beachteten Marken gewesen. Viele Fragen, besonders zur Rolle des Unternehmens als Reparationsgut für die Sowjetunion sowie die Finanzierung der Manufaktur seien ein Forschungsdesiderat und benötigten intensivere Beschäftigung. SIGFRID HOFER (Marburg) legte die staatliche Selbstrepräsentation der DDR global, aber vor allem in Bezug zur BRD innerhalb des innerdeutschen Künstler*innenaustauschs dar.  Als in den 1970er Jahren eine neue Phase der auswärtigen Politik anbrach, seien auch neue Austausche durch Studienreisen einzelner Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen und Ausstellungsbeteiligungen im Westen gefördert worden. So sei die innerdeutsche Systemkonkurrenz auf den künstlerischen Bereich übergegangen und die Kultur zur Stärkung des sozialistischen Staates und seiner auswärtigen Repräsentation eingesetzt worden. Dabei sei ein diplomatischer Mittelweg gegangen worden, der staatlicher Direktion folgte und gleichzeitig auf Individuen heruntergebrochen wurde. KATRIN SCHREITER (London), an die beiden vorherigen Vorträge anschließend, stellte Messen und Ausstellungen als zentralen Treffpunkt für ost- und westdeutsche Akteure in Wirtschaft, Politik und Kultur nach dem Mauerbau dar. Auch hierbei habe für die DDR die Darstellung als fortgeschrittene (Industrie-)Nation im Fokus gestanden. Die innerdeutsche Konkurrenz um allgemeinen und modernen Geschmack habe mit einer Annäherung zum westlichen Design geendet – unter anderem um einen größeren Exportanteil zu ermöglichen.

Das zweite Panel beschäftigte sich mit branchenübergreifenden (inner-)betrieblichen Veränderungsprozessen, die Orientierung für eine zukünftige Erforschung der Meissener Porzellanmanufaktur geben. WOLF-RÜDIGER KNOLL (Berlin) beleuchtete die technischen Modernisierungsbestrebungen ostdeutscher Betriebe vor und nach 1989/90: DDR-Betriebe seien in einer ständigen Spannung zwischen heimischen Versorgungsansprüchen und der Notwendigkeit zur Beschaffung von Devisen aus Exporten zu sehen. Insbesondere durch den allgegenwärtigen Vergleich zur Bundesrepublik sei ein starker Modernisierungsdruck entstanden, der sich in gezielten Investitionen in bestimmte ‘modernisierte Inseln’ und einzelne Betriebsbereiche entlud. Unmittelbar nach 1990 seien ostdeutsche Betriebe vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt gewesen, darunter schwindenden Aufträgen wegen steigender Produktionskosten. Die Treuhandanstalt habe in vereinzelte Modernisierungsprojekte investiert, während Personalabbau in der ostdeutschen Industrie zu Massenarbeitslosigkeit geführt habe und soziale Betriebseinrichtungen aufgegeben werden mussten. UTA BRETSCHNEIDER (Leipzig) stellte am Beispiel der Spinnerei Amerika solche Einrichtungen der betrieblichen Sozialpolitik in der DDR vor. Während viele der Angebote ihren Ursprung im früheren Unternehmertum gehabt hätten, seien sie in der DDR zu einem Betrieb und Privatleben verbindenden Netzwerk ausgebaut worden, das Gemeinschaft und gegenseitige Kontrolle geschafft und besonders im ländlichen Raum für Infrastruktur gesorgt habe. Maßnahmen betrieblicher Sozialpolitik seien auf allgemeine Versorgung, Gesundheit und Freizeit aufgeteilt und mit der Erwartung verbunden gewesen, die Arbeitsmotivation und Bindung an den Betrieb zu steigern. Im Rückblick würden sie von vielen ehemaligen Mitarbeiter*innen positiv erinnert.

PANEL 3 widmete sich den Transformationsprozessen nach 1989/90, die für Meissen, wie herausgearbeitet werden sollte, atypisch verliefen. Hier zeigte DIERK HOFFMANN (Berlin), wie der Betrieb in die image- und identitätsstiftende Politik Biedenkopfs integriert wurde, die seinem wirtschaftlichen Anspruch teils widersprochen habe. Der Fortbestand der Manufaktur als Staatsbetrieb habe im Gegensatz zu der sonstigen Zielsetzung der Privatisierung gestanden; sowohl von Seiten der Treuhandanstalt als auch des marktliberalen Biedenkopf. Die Position Meissens als zu bewahrendes Kulturerbe sei mit diesem Beschluss verfestigt worden. Weiterhin zeige Meissen einerseits das vermittelnde historische Selbstverständnis des Freistaates Sachsens als eine industrielle Hochburg sowie andererseits den Wunsch der Anknüpfung an eine Identität vor 1933. Als Abschluss des Panels folgte ein Zeitzeugengespräch mit HUBERT KITTEL (Halle), der die Transformationen nach 1990 innerhalb der Burg Giebichenstein, der Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle (heute: Kunsthochschule Halle), als Lehrperson miterlebte. Die sich verändernden und nicht mehr so bürokratisierten Industriebeziehungen zwischen Hochschule und (Porzellan-)Unternehmen standen dabei im Vordergrund. Diese hätten auch grundlegend die wichtige Beziehung zwischen Künstler*in und der Manufaktur gewandelt.

In PANEL 4 wurden drei gestaltende Kräfte im Umfeld der Meissener Manufaktur thematisiert: Trends im Porzellandesign, künstlerische Innovation und Auftragsarbeiten. CHRISTIAN LECHELT (Fürstenberg) beleuchtete die wichtigsten Trends des Porzellandesigns auf dem bundesrepublikanischen Markt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insgesamt sei eine Pluralisierung und Bedeutungssteigerung des Produktdesigns als Markenidentität zu beobachten und Nostalgie zu einem entscheidenden Gestaltungsfaktor geworden. Schon seit den 1970er Jahren sei unter dem Eindruck kollektiver Zukunftsängste eine Nachfrage nach nostalgischen Stilelementen entstanden, die sich in den 1980er Jahren zu opulenten Neuzusammenstellungen aufschwangen. Mit der Krise der 1990er Jahre sei die Nostalgiewelle verebbt und von minimalistischen Designs abgelöst worden. CLAUDIA ZACHOW (Halle) folgte darauf mit einem Beitrag zur Verknüpfung von Berufspraxis und der gestalterischen Ausbildung im Bereich Feinkeramik, wie sie auf der Hochschule Burg Giebichenstein entstand. Der Praxisverbund mit der Industrie sei in den 1960er Jahren ein fester Bestandteil des Studiums geworden. Die Meissener Manufaktur, unter starkem Druck, die Exporterwartungen der staatlichen Planung zu erfüllen, sei in Gefahr gewesen, künstlerische Belange zu vernachlässigen. Insbesondere durch die Kooperation mit der Hochschule sei es gelungen, eine Entwicklungsabteilung einzurichten, die sich auf künstlerische Innovation konzentrierte. SILKE WAGLER (Dresden) schloss das Panel mit einem Einblick in die Erschließung architekturbezogener Kunst in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der Einsatz keramischer Materialien in öffentlichen Kunstwerken sei ein Forschungsgebiet, das sich durch die unvollständige Inventar- und Aktenlage zurzeit nur vorbereiten lasse. Vorhandene Quellenbestände lieferten sehr allgemeine Angaben und beachteten Fragen des Materials und der Umsetzung in der Regel nicht.

In einem gemeinsamen Schlussstatement betonten JULIA WEBER und DIERK HOFFMANN die Bedeutung des Workshops als Auftakt weiterer Forschung. Die Beiträge und Diskussionen der beiden Tage zeigten, wie gut Kunstgeschichte und zeithistorische Forschung sich gegenseitig ergänzen können, und gäben die Möglichkeit, das Thema groß einzukreisen. Als besondere Anhaltspunkte für zukünftige Betrachtungen träten die wirtschaftspolitische Einordnung – wo ist die Entwicklung der Manufaktur typisch, wo spielt sie eine Sonderrolle? –, künstlerische Gestaltung als politische Frage sowie das Spannungsfeld von Autonomie und Heteronomie in allen Bereichen des Betriebes in Meissen hervor. Narrativ deute sich in den meisten Vorträgen bereits eine Niedergangsgeschichte der Manufaktur und der Porzellanindustrie an, die mit offenen Fragestellungen in Zukunft zu hinterfragen sei.

Die Beiträge des Workshops und besonders die anregenden Diskussionen zwischen den Panels zeigten zahlreiche Perspektiven und thematische Überschneidungen auf und verdeutlichten die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes zur Thematisierung der deutsch-deutschen Geschichte der Porzellanindustrie im Allgemeinen und der Porzellanmanufaktur Meissen im Speziellen. Als erste Errungenschaft des Workshops kann daher schon die Vernetzung der Teilnehmenden aus verschiedensten Forschungsfeldern gelten. Insbesondere Fragen der künstlerischen Arbeit der Manufaktur zwischen Innovation und nostalgischem Barock, zwischen staatlicher Steuerung und eigenem Markenstolz, haben das Potenzial, eine interessante Mikrogeschichte der deutsch-deutschen Zeitgeschichte zu erzählen.

Konferenzübersicht:

Gilbert Lupfer (Dresden), Hermann Wentker (Berlin): Begrüßung und Einführung

Julia Weber (Dresden): Die Meissener Porzellanmanufaktur – ein Ausnahmebetrieb

Panel 1: Die Porzellan-Manufaktur Meissen als Staatsbetrieb
Moderation: Agnes Matthias (Dresden)
Rainer Karlsch (Berlin): Im Korsett der Volkswirtschaftspläne: Die sächsische Wirtschaft in der DDR-Zeit 1949-1990
Sigrid Hofer (Marburg): Zur kulturellen Selbstpräsentation der DDR im Westen
Katrin Schreiter (London): Der innerdeutsche Handel als Brennpunkt der industriellen Designpolitik der 1950er bis 1970er Jahre

Panel 2: (Inner-)betriebliche Veränderungsprozesse
Moderation: Maria Obenaus (Dresden)
Wolf-Rüdiger Knoll (Berlin): Ostdeutsche Betriebe im (post-)sozialistischen Wettbewerb: Modernisierungsstrategien im regionalen Vergleich
Uta Bretschneider (Leipzig): Fürsorge und Funktionserhalt. Betriebliche Sozialpolitik am Beispiel der Spinnerei Amerika in Sachsen.

Panel 3: Anpassungsherausforderungen und wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Moderation: Julia Weber (Dresden)
Dierk Hoffmann (Berlin): „Es ist ein schönes Gefühl gewesen, Teil einer Tradition seit 1710 zu werden“ – Kurt Biedenkopf, die sächsische Landesregierung und die Porzellanmanufaktur Meissen nach 1990
Hubert Kittel (Halle): Zeitzeugengespräch

Panel 4: Konkurrenzverhältnisse in der Porzellanproduktion
Moderation: Hermann Wentker (Berlin)
Christian Lechelt (Fürstenberg): Zwischen Ambition und Nostalgie. Porzellandesign und dessen Vermarktung in der BRD ab 1970
Claudia Zachow (Halle): Gestalter nach Plan? Aspekte der gestalterischen Ausbildung im Bereich Feinkeramik der DDR
Silke Wagler (Dresden): Keramische Materialien in der baugebunden Kunst: Welche Rolle spielte die Meissener Manufaktur und das Meissener Porzellan?

Julia Weber (Dresden), Dierk Hoffmann (Berlin): Abschlussbesprechung



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