Das Projekt strebt eine Geruchsgeschichte der deutschen Teilung aus Perspektive der sensory history an. Anhand eines Nahsinnes, des Geruchssinnes, soll exemplarisch verfolgt werden, wie der politische Prozess der Teilung mit der Sinneswahrnehmung verschränkt war. Veränderte er nicht nur die Geruchslandschaften sondern auch die menschliche Wahrnehmung selbst – und wie wirkte dies auf die Politik zurück?
Zentrale Untersuchungsgebiete sind Umwelt- und Abgaskonflikte, Innenraumgerüche bzw. Schadstoffproblematiken, Veränderungen in Hygiene und Kosmetik, Politisierungen von Produkten der Duftstoffindustrie sowie Maßnahmen des olfactory warfare, des militärischen und polizeilichen Einsatzes von Feinstoffen. Anhand zeitgenössischer Dokumente wird die Entstehung unterschiedlicher smellscapes in Stadt-, Industrie- und Agrarlandschaften untersucht und danach gefragt, wie diese Räume diskursiv verhandelt wurden. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Sensibilitäten der Menschen selbst in beiden Teilstaaten auf unterschiedliche Weise veränderten – im Verhältnis zu Pollution, Kosmetika, Waschmitteln oder Lebensmitteln, womit eine körpergeschichtliche Perspektive auf die politische Teilung eingenommen wird. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Phasen der politischen und der räumlichen Teilung, des Kalten Krieges, der osmotischen Angleichung in der „langen Wende“ sowie der erinnerungskulturellen Rekonstruktion während der Nachwendezeit, in der Gerüche ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen (etwa in „Ostalgie“ und „Westalgie“). Als geruchsgeschichtliche Quellen werden neben Osmotheken und narrativen Interviews vor allem Archiv- bzw. Schriftdokumente ausgewertet, die als Wahrnehmungsprotokolle verstanden werden.
Das Projekt verfolgt zwei Hauptziele: Zum einen sollen Erkenntnisse sowohl über die alltags- und umweltgeschichtliche Tiefe der Teilung als auch über ihre Dauer bzw. Periodisierung gewonnen werden (olfaktorisch bestehen beide Teilstaaten lange über den Einigungsvertrag hinaus fort). Zum anderen soll anhand des Geruchssinnes die zeitlich spezifische und politisch-kulturelle Bedingtheit eines „Nahsinnes“ (im Unterschied zu den „Fernsinnen“ Hören und Sehen) exemplarisch in seinen intersensorischen und politischen Relationen erforscht werden.
Diese originäre Perspektive einer Wahrnehmungsgeschichte von Abgrenzung und Verflechtung erlaubt erstmals Erkenntnisse über die Auswirkungen der Teilung in ihrer mikropolitischen Tiefenwirkung auf den Menschen in seinen kulturell und politisch präfigurierten Umwelten. Damit versteht sich das Projekt als Beitrag zu einer Sinnes- und Geruchsgeschichte des 20. Jahrhunderts.