Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung 1958-1985: Wissenschaft, konservative Bürgerlichkeit und rechte Netzwerke

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ):  Dr. Maik Tändler,   Johannes Stanley Geck
Projektinhalt:

Das Projekt arbeitet die Geschichte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung von ihrer Gründung 1958 bis zur Mitte der 1980er Jahre auf. In dieser Zeit wurde die Stiftung maßgeblich von Armin Mohler (1920-2003) geprägt, der von 1964 bis 1985 als ihr Geschäftsführer amtierte. Zugleich war der aus der Schweiz stammende Publizist ein profilierter Vertreter eines nationalistisch-autoritären Konservatismus und Vordenker der neuen Rechten in der Bundesrepublik. Entsprechend häuften sich seit den 1980er Jahren kritische Stimmen, die in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung eine bedeutende neurechte „Denkfabrik“ sahen oder ihr zumindest ein systematisches „Gesamtprogramm rechtskonservativer Hegemoniebildung“ (Axel Schildt) zugeschrieben haben. Es fehlt bisher jedoch an historischen Untersuchungen, die auf breiter Quellenbasis die Entwicklung, Bedeutung und Wirkung der Stiftung differenziert beleuchten und sie in den größeren Zusammenhang der politischen Kulturgeschichte der Bundesrepublik einordnen.

Das Projekt nimmt sich dieses Desiderats an. Es geht von der Annahme aus, dass die Carl Friedrich von Siemens Stiftung analytisch weder ausschließlich als neurechte Denkfabrik noch als unpolitischer Ort bürgerlicher Gelehrsamkeit zu fassen ist. Vielmehr fungierte sie als Forum der Begegnung von Eliten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Grauzone zwischen Konservatismus und neuer Rechter: Mohler zielte, so die These, im Rahmen seiner Stiftungstätigkeit nicht auf die Etablierung eines geschlossenen neurechten Intellektuellenzirkels, sondern darauf, rechtem Denken bildungsbürgerliche Respektabilität und damit diskursive Legitimität zu verleihen. Dieser Brückenfunktion Rechnung tragend, fragt das Projekt gleichermaßen nach der Bedeutung der Stiftung für die Entwicklung des Konservatismus wie der neuen Rechten in der Bundesrepublik, nach der Zirkulation von Ideen und der Inszenierung bürgerlich-elitärer Gelehrsamkeit sowie nach den Bezügen, in denen Mohler persönlich und die Stiftung als Institution zu anderen einschlägigen Organisationen, Akteuren und Institutionen standen.

Teilprojekt I: Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung im Geflecht des bundesrepublikanischen Konservatismus und der neuen Rechten (Maik Tändler)

Das Projekt untersucht die personelle, institutionelle und politische Verflechtungsgeschichte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung im Schnittfeld von Konservatismus und neuer Rechter, in dem sich ihr langjähriger Geschäftsführer Armin Mohler auch außerhalb der Stiftung als Publizist und Netzwerker bewegt hat. Vier ineinander verschränkte Konstellationen, die den gesellschaftlichen und politischen Ort der Stiftung definiert haben, werden in den Blick genommen: Erstens die Gründungskonstellation um den Stifter Ernst von Siemens und die Rekrutierung Armin Mohlers zunächst als Mitarbeiter, dann als Geschäftsführer. Zweitens das für die Stiftung charakteristische enge Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft, von kulturellem und ökonomischem Kapital im Sinne einer konservativ-elitären Agenda. Drittens München als Sammlungsort konservativer bis rechter Organisationen und Initiativen nach 1945 einschließlich der CSU, zu deren Vorsitzendem Franz Josef Strauß Mohler zeitweilig direkten Zugang hatte. Viertens schließlich Mohlers Rolle als Kommunikator und Netzwerker einer neuen Rechten und ihr Einfluss auf Tätigkeit und Außenwahrnehmung der Stiftung.

Teilprojekt II: Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung als Forum der Wissenschaft: Elitäre Kultur, Bürgerlichkeit und konservative Gegenöffentlichkeit (Johannes Geck)

Gegründet 1958 mit dem Ziel, „führende Männer der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Kunst“ zusammenzuführen, etablierte sich die Carl Friedrich von Siemens Stiftung bald als exklusiver Begegnungsort einer konservativen bürgerlichen Elite Münchens. Das Projekt untersucht neben der Entwicklung ihrer inhaltlichen Ausrichtung die sozialen Praktiken, durch die sich die Stiftung als ein solcher Ort milieuspezifischer Selbstverständigung und Selbstbestätigung konstituierte. Ausgehend von der These, dass bürgerlich-elitäre Kultur, wissenschaftliches Programm und konservative politische Vorstellungswelten in der Stiftungspraxis untrennbar miteinander verwoben waren, wird die ideengeschichtliche Rekonstruktion politischer Denkstile und Themensetzungen mit der kulturgeschichtlichen Analyse ihrer symbolisch-rituellen Performanz verbunden. Auf welche Weise wirkten räumlich-materielles Setting, Habitusformen und Stiftungsprogramm bei der Inszenierung bürgerlicher Gelehrsamkeit und elitärer Geselligkeit zusammen? Wie wurden die Sagbarkeitsregeln im Spannungsverhältnis zwischen konservativem und neurechtem Denken in diesem Rahmen ausgehandelt und verschoben? Und in welchem Verhältnis standen geistes-, sozial- und naturwissenschaftliche Beiträge untereinander und in Bezug auf die politische Agenda Armin Mohlers?




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