Gerücht und Displacement: Eine Geschichte der (Zwangs-) Migration unter dem "Dritten Reich", 1938-1948

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ):  Dr. Caroline Mezger
Projektinhalt:

Während des 20. Jahrhunderts waren rund 30 Millionen Europäerinnen und Europäer von Zwangsmigration, Deportation, Flucht und „ethnischen Säuberungen“ betroffen. Ihren grausamen Höhepunkt erreichten diese Ambitionen verschiedener Staaten, große Teile des Kontinents zu erobern, zu „nationalisieren“ und zu „säubern“ während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach. Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzung brachten massive Bevölkerungsverschiebungen, antisemitische Gewalt, Bürgerkriege, Genozide und verheerende Vergeltungsaktionen hervor.

Trotz einer Vielzahl von Arbeiten, die Zusammenhänge zwischen „ethnischen Säuberungen“, „Germanisierung“ und Holocaust untersucht haben, haben bisher wenige Studien eine transeuropäische Perspektive in den Blick genommen, um verschiedene Fälle von (Zwangs-) Migration und gewaltsamen „Umsiedlungen“ während des „Dritten Reichs“ gemeinsam zu analysieren. Dieses Projekt erforscht (Zwangs-) Migration in ihren verschiedenen Formen in unterschiedlichen europäischen Gebieten und zu diversen Zeitpunkten während des Nationalsozialismus und unmittelbar danach. Aus transnationaler Perspektive untersucht es quer durch den europäischen Kontinent individuelle Erfahrungen, Handlungen, Interpretationen und Erinnerungen an (Zwangs-) Migration anhand eines besonderen Phänomens: dem Gerücht. Gerüchte bildeten eine Schnittstelle zwischen staatlicher Politik und offizieller Kommunikation „von oben“ und sozialen Dynamiken, individuellen Erfahrungen und kollektiver Handlungsfähigkeit „von unten“. Somit wurden Gerüchte zu einem zentralen Mittel für Staatsträger und Behörden, auf Bevölkerungen Einfluss zu nehmen und zu einer wichtigen Informationsquelle für Menschen, die sich (sofern sie dies selbst bestimmen konnten) entscheiden mussten, in bestimmten Gebieten zu bleiben oder zu fliehen. Gerüchte spiegelten und erschufen soziale Dynamiken inmitten von Flucht und Deportation und formten persönliche Einschätzungen von Kriegs- und Gewalterfahrungen. Sie prägten die Dynamiken von Flucht und (Zwangs-) Migration und beeinflussten zeitgenössische, historische und persönliche Schilderungen davon.

Das Projekt geht verschiedenen Fragen nach. Was waren die Spezifika von (Zwangs-) Migration unter dem nationalsozialistischen Regime? Inwiefern können verschiedene Erfahrungen von Zwangsmigration, Umsiedlung und Deportation verglichen oder gar in einem gemeinsamen Zusammenhang betrachtet werden? Wie haben Individuen diese gestaltet, kommuniziert und interpretiert? Was gibt es für Zusammenhänge zwischen individuellem Lebenslauf, kollektiven Narrativen und größeren historischen Ereignissen? Um diese Fragen zu beantworten, nimmt das Projekt drei verschiedene Fallstudien zur (Zwangs-) Migration in den Blick, die vom „Dritten Reich“ oder als Reaktion auf dessen Agieren ausgelöst wurden: die Kampagne „Heim ins Reich“ in Südtirol ab 1939, die Flucht und Deportation der jüdischen Gemeinde in Wien zwischen 1938 und 1945, und die Flucht und Evakuierung der deutschsprachigen Minderheit in der Vojvodina ab Ende 1944.




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