Die Jüdische Bevölkerung in Italien während Ausgrenzung, Verfolgung und Holocaust (1938-1945). Subjektive Wahrnehmungen und Verhaltensweisen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ):   Mirjam Neuhoff (geb. Spandri)
Projektinhalt:

Jüdinnen und Juden erlebten in Italien zwischen 1938 und 1945 mehrere Stufen der Verfolgung. Bereits seit Mitte der 1930er Jahre hatte das faschistische Regime den Antisemitismus in sein ideologisches Programm integriert. Im Herbst 1938 verabschiedeten der König, die Regierung und der faschistische Großrat nacheinander erste diskriminierende Dekrete, die am 17. November in einem Gesetz zum „Schutz der italienischen Rasse“ zusammengefasst wurden. Diese antisemitischen Maßnahmen betrafen über 58.000 Menschen, darunter etwa 10.000 Nicht-Italiener. Bis 1943 erließ die faschistische Diktatur weitere Verordnungen und grenzte die Minderheit im Land weiter aus. Jüdinnen und Juden durften nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig sein und keine größeren Unternehmen leiten. Sie konnten weder das Theater besuchen noch Bibliotheken nutzen. Ihre Kinder mussten die staatlichen Schulen verlassen. Viele jüdische Flüchtlinge verloren ihre Staatsbürgerschaft. Nach Kriegsbeginn verhafteten die Faschisten ausländische sowie angeblich politisch unzuverlässige Juden und Jüdinnen und hielt sie in über 50 Internierungslagern fest. Auch in den italienischen Besatzungsgebieten adaptierten die Faschisten diese Regelungen. Die jüdische Bevölkerung wurde gesellschaftlich isoliert und finanziell aufgerieben. Nach dem Sturz Mussolinis und anschließenden Friedensverhandlungen mit den Alliierten, marschierte die Wehrmacht im September 1943 in Italien und seinen Besatzungsgebieten ein. Sofort kam es zu ersten Verhaftungen und Massakern an Jüdinnen und Juden. Ab Oktober begannen Sicherheitspolizei und SD, zusammen mit der italienischen Polizei, systematisch Inhaftierungen und Deportationen durchzuführen. Sie nahmen fast 8000 Personen gefangen, die mehrheitlich nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurden.

Das vorliegende Projekt fragt, wie die als Jüdinnen und Juden Verfolgten auf die antisemitische Gesetzgebung reagierten. Viele versuchten, mit falschen Papieren unterzutauchen, sich in Klöstern und in den Bergen zu verstecken, sowie in die Schweiz oder Richtung Süditalien zu fliehen. Dort waren im Juli 1943 die westlichen Alliierten gelandet. Während die bisherige Forschung überwiegend nach Verhaltensarten und Überlebensstrategien gefragt hat, weitet das vorliegende Projekt den Blick. Es betrachtet die Opfer als aktiv handelnde Menschen und fragt, warum sie sich für die eine oder andere Handlungsoption entschieden. Welche Möglichkeiten hatten sie je nach sozialem Status, Geschlecht, Alter und Beruf? Welche Rolle spielten finanzielle Rücklagen und Beziehungen zu Nichtjuden? Die Arbeit wird Biografien aus verschiedenen italienischen Städten miteinander vergleichen. Teils greift das Projekt auf bereits publizierte Tagebücher und Erinnerungsberichte zurück, teils werden unveröffentlichte Quellen verwendet. Diese liegen besonders im Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea (CDEC) in Mailand, im Archivio Diaristico Nazionale in Pieve Santo Stefano und in den jüdischen Gemeindearchiven in Italien vor.

Antisemitische Darstellung zum italienischen „Rassengesetz“ in der faschistischen Zeitschrift "La Difesa della Razza", Nov. 1938, CC BY-SA 3.0 IT, via Wikimedia Commons