Ziel der Dissertation von Sebastian Rojek ist es, Enttäuschung als historiographische Kategorie zu etablieren, indem die deutsche Marinegeschichte im Hinblick auf Enttäuschung, Expertenwissen und Planung über die Epochengrenzen hinweg verknüpfend analysiert wird. Der Erkenntniswert liegt darin, die enge Korrelation von Enttäuschung, Planung und Expertenwissen in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. Die Arbeitshypothese lautet, dass sich die deutsche Marine vor 1914 sukzessiv verwissenschaftlichte, womit zentrale Akteure wie etwa Tirpitz und seine Mitarbeiter eine wirk- und definitionsmächtige Expertenstellung erlangten. Der Untersuchungszeitraum umfasst damit die Anfänge deutscher Marinepolitik, den erwartungsvollen Aufstieg des Reichsmarineamtes um 1900, die Enttäuschungsphase des Ersten Weltkriegs und deren Verarbeitung in der Weimarer Demokratie.
In dieser Entwicklung wird nach Brüchen, Kontinuitäten und Dynamisierungskräften von Enttäuschungserfahrungen gefragt: Inwiefern trieben Enttäuschungen die Marineadministrationen vor, während und nach dem Krieg in ihren Planungen, Handlungen und institutionellen Lernprozessen an? Auf welche Weise wandelten sich in den Deutungskonflikten vor und nach 1918/19 Konstellationen, Legitimationen und die Vertrauensbasis der Flottenpolitik? Dienten Enttäuschungen als Rahmung des Verhältnisses von (Marine)Politik und Öffentlichkeit in einer zunehmend wissens- und planungsbasierten Gesellschaft? Interpretationsansätze der Studie bilden die Wissens- Emotions- und Planungsgeschichte, um die Entwicklung der Marine zur Zeit der langen Jahrhundertwende als Enttäuschungsgeschichte zu fassen.
Methodisch werden Ansätze aus der historischen Semantik, insbesondere die Argumentationsgeschichte herangezogen. Am Beispiel des maritimen Projekts des wilhelminischen Reiches soll herausgearbeitet werden, inwiefern der Faktor Enttäuschung ein Schlüsselmoment planerischen Handelns und Argumentierens im 20. Jahrhundert darstellte.