Das Projekt untersucht Handlungsspielräume und Wahrnehmungen ostdeutscher Gewerkschafterinnen in den 1990er Jahren. Ostdeutschland wird dabei als heterogener Erfahrungsraum verstanden, der sich im Verlauf der „langen Wende“ in den 1980er und 1990er Jahren dynamisch veränderte. Damit verfolgt das Projekt nicht nur einen intersektionalen Ansatz (Geschlecht, Herkunft) zur Erforschung des Spätsozialismus und der deutsch-deutschen Vereinigungsgesellschaft, sondern verschränkt außerdem ost- und westdeutsche Transformationsprozesse auf drei Ebenen. Mit Blick auf die sozio-ökonomische Dimension wird erstens nach der Rolle ostdeutscher Gewerkschafterinnen für den Umgang der DGB-Gewerkschaften mit dem Problem der Arbeitslosigkeit gefragt, von der Frauen in Ostdeutschland oft viel früher und in stärkerem Ausmaß als Männer betroffen waren. Auf der sozio-kulturellen Ebene steht zweitens die Frage nach der Transformation von Geschlechterbildern im Fokus. Drittens gibt das Projekt in praxeologischer Perspektive schließlich Einblicke in Kontinuitäten und Wandlungen der politischen Kultur in den ostdeutschen Bundesländern, fragt nach politischen Handlungsspielräumen von Gewerkschafterinnen in der Region, beleuchtet Potentiale frauenpolitischer Vernetzungen und untersucht ostdeutsche Protestkulturen in intersektionaler Perspektive. Die Studie konzentriert sich dabei exemplarisch auf die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie beziehungsweise (seit 1997) Bergbau, Chemie und Energie (IG BE/BCE). Sie stützte sich gleichermaßen auf Archivalien (Gewerkschaftsarchive, staatliche und Bewegungsarchive) sowie archivierte und eigens geführte Interviews.
Das Projekt wird von der Hans-Böckler-Stiftung für drei Jahre (2022–2024) gefördert und ist Teil des interdisziplinären Forschungsverbunds „Wendezeiten: Einfluss und Strategie von Gewerkschaften in der ostdeutschen Transformation von Wirtschat und Gesellschaft“