Staatsangehörigkeit im Holocaust – zwischen Diplomatie, Rassenideologie und Verfolgungspraxis

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ):   Niels Pohl-Schneeberger
Projektinhalt:

Welche Rolle spielten Fragen der Staatsangehörigkeit im Holocaust? So stießen die Täter in der praktischen Verwirklichung ihrer Vernichtungsphantasie immer wieder an äußere Grenzen: Jüdinnen und Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit standen, auch wenn sie im deutschen Machtgebiet lebten, durch ihre staatliche Zugehörigkeit unter diplomatischem Schutz. Außen- und bündnispolitische sowie ökonomische Faktoren, aber auch die Sorge vor Repressionen gegen im Ausland lebende Deutsche veranlassten die Verfolgungsbehörden dazu, im Umgang mit ausländischen Jüdinnen und Juden zurückhaltender zu agieren, als sie es rassenideologisch intendiert hatten. Bilaterale Komplikationen beschränkten sich dabei nicht auf verfeindete und neutrale Länder, sondern entwickelten sich auch im Umgang mit Staatsangehörigen verbündeter Staaten. Deren Regierungen identifizierten sich zuweilen nicht bedingungslos mit der eliminatorischen Ausrichtung der deutschen Judenverfolgung und verzögerten oder verweigerten die Einbeziehung „ihrer“ Jüdinnen und Juden in die Deportations- und Mordaktionen unter Verweis auf ihre staatsrechtliche Souveränität.

In dem Forschungsprojekt wird untersucht, wie dieses Spannungsfeld zwischen rassenideologischer Verfolgung und außenpolitischer Ratio im deutschen Herrschaftssystem erfasst wurde, wie inner- und interbehördliche Aushandlungsprozesse und bilaterale Verhandlungen konkret verliefen und welche Konsequenzen dies für die deutsche Diplomatie und für die sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ in ihren verschiedenen Radikalisierungsphasen hatte.