Verfolgung und Diskriminierung von Homosexualität in Rheinland-Pfalz 1946-1973

Projektinhalt:

Ab Frühjahr 2014 hat das IfZ in Kooperation mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld im Auftrag der Mainzer Landesregierung ein Forschungsprojekt über die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexualität in Rheinland-Pfalz geleitet, das im Herbst 2016 erfolgreich abgeschlossen wurde. Mit der operativen wissenschaftlichen Leitung des Projekts war Michael Schwartz befasst, der zu diesem Zweck die Arbeit zweier externer beauftragter Wissenschaftler (Günter Grau und Kirsten Plötz) koordiniert und angeleitet hat. Schwerpunktmäßig ging es um die Untersuchung der Entwicklung in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten in Rheinland-Pfalz, doch wurden auch die vorangegangene Situation dieser Region unter der NS-Diktatur sowie Entwicklungen der 1970er Jahre mitberücksichtigt.

Die in einem Forschungsbericht von über 380 Seiten zusammengefassten Ergebnisse haben gezeigt, dass homosexuelles Leben in Rheinland-Pfalz während der 1950er und 1960er Jahre von Strafverfolgung und darüber hinaus von vielfältiger Diskriminierung geprägt gewesen ist. Zwischen 1948 und 1969 wurden in Rheinland-Pfalz 2.880 Männer und Jugendliche nach den Paragrafen 175 und 175a StGB in der Fassung von 1935 zu Haftstrafen verurteilt; insgesamt ermittelte die Polizei gegen 5.939 Tatverdächtige allein in den Jahren 1953 bis 1968. Zusätzlich zur Strafe trafen die Betroffenen Demütigungen, moralische Abwertungen und auch schwere berufliche Nachteile.

Ausgehend von der Vorgeschichte der nationalsozialistischen Homosexuellen-Verfolgung in dieser Region liegt nunmehr mit Blick auf die Strafverfolgung homosexueller Männer in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik die erste verlässliche Studie für ein deutsches Flächenland vor. Im Abschlussbericht des Projekts werden nicht nur die Verfolgungspraxis und exemplarische Verfolgtenschicksale nachgezeichnet, sondern es wird auch über den politischen und gesellschaftlichen Kontext informiert – über die gescheiterten zivilgesellschaftlichen Bestrebungen zur Abschaffung des Homosexuellenparagrafen und über die das NS-Strafrecht fortschreibenden höchstrichterlichen Urteile der 1950er Jahre, über die auf eine repressive Sicherung von „Sittlichkeit“ zielenden Strafrechtsreformdebatten um 1960 und schließlich über den gesellschaftlichen Wandel in den 1960er Jahren, der zur liberalen Strafrechtsreform von 1969 führte.

Das Projekt hat zugleich vielfältige gesellschaftliche Diskriminierungen homosexueller Menschen oder Lebensweisen in den Blick genommen – nicht nur mit Blick auf Männer, sondern auch auf Frauen, die nicht nur wegen ihrer homosexuellen Identität Diskriminierungen ausgesetzt waren, sondern auch mit einengenden Rollenzuschreibungen und vielfältigen rechtlichen Benachteiligungen (etwa im Ehe- und Familienrecht) zu kämpfen hatten. Diese Forschungsergebnisse zu Lebenssituationen lesbischer Frauen erscheinen besonders innovativ. Wie die Studie ebenfalls ermittelt hat, findet sich umgekehrt zuweilen auch die selbstbewusste Wahrnehmung von Freiräumen trotz aller Risiken – bis hin zu gesellschaftlich tolerierten Lebensgemeinschaften, deren etwaiger homosexueller Hintergrund freilich nicht explizit werden durfte. Zugleich wird deutlich, dass in Rheinland-Pfalz, wo es keine größere homosexuelle „Szene“ mit einer selbstbewussten Tradition von Halböffentlichkeit gegeben hat, erst nach der 1969 erfolgten Entkriminalisierung der Mut unter Betroffenen wuchs, als Individuen wie als Gruppe sichtbar zu werden und dadurch wieder gesellschaftsverändernd zu wirken.




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