Jenseits von Exil und Nische

Bürgerlichkeit in deutschen und europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert
- 26.11.2021 14:00 Uhr

Das Bürgertum zählt zu den Schlüsselformationen der modernen europäischen „Leistungsgesellschaft“. Entsprechend der historischen Bedeutung des Bürgertums beschäftigt sich die Sozial- und Kulturgeschichte seit den 1980er Jahren intensiv mit dieser Thematik. Umso mehr überrascht, dass speziell das Verhältnis von Diktaturen, Bürgertum und Bürgerlichkeit, letzteres verstanden als (schichtenübergreifendes) Ensemble von Werten und Verhaltensmustern, bislang nicht in seinem Facettenreichtum untersucht worden ist. Häufig stehen mit Blick auf die deutschen Diktaturen Residuen, Nischen oder Anpassungsprozesse traditioneller bürgerlicher Schichten im Vordergrund. Dagegen ist die Bedeutung von bürgerlichem Habitus und dessen Kulturtransfer auf andere, zum Teil neu entstandene Schichten innerhalb europäischer autoritärer bzw. totalitärer Gesellschaften (Arbeiterschaft, neue Angestellten-Mittelschichten usw.) noch wenig ausgeleuchtet. Gerade die tiefgreifende Ambivalenz zwischen vehementer Bekämpfung des bürgerlichen „Gegners“ und gleichzeitiger Adaption bürgerlicher sozialer Praktiken durch die Herrschenden bzw. innerhalb der von ihnen beherrschten Gesellschaften verdienen in diesem Zusammenhang eine systematische Untersuchung. Was für die NS-Diktatur zumindest ansatzweise geschehen ist, stellt für die zweite deutsche Diktatur, die DDR, noch ein umfassendes Desiderat der Forschung dar. Zudem mangelt es der bürgertumsgeschichtlichen Forschung in Deutschland grundsätzlich an einer transnationalen Perspektive, die den deutschen Fall in größere Zusammenhänge einordnet und nach übergreifenden Trends fragt.

Diese Desiderata greift der Workshop auf und lädt dazu ein, über Perspektiven einer Geschichte von Bürgerlichkeit in deutschen und europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts nachzudenken. Im Gegensatz zu gängigen Globalthesen der Verbürgerlichung und Entbürgerlichung europäischer Massengesellschaften wollen wir uns dem Problemfeld Bürgerlichkeit über konkrete Habitusformen, soziale Praktiken und Semantiken nähern. Durch eine solche Verknüpfung von Gesellschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte soll anhand konkreter Themenfelder gezielt nach den Triebkräften und Träger/innen sowie Gegenkräften von Bürgerlichkeit im transnationalen Vergleich gefragt werden.

Workshop des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin (Christian Rau, Michael Schwartz und Ingo Loose). Das vollständige Programm finden Sie hier.

ORT

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