Heft 1/2020

Aufsätze:

  • Winfried Heinemann: Das Ende des Staatsstreichs. Die Niederschlagung des 20. Juli 1944 im Bendlerblock. (A)
  • Paul Fröhlich: Der Generaloberst und die Historiker. Franz Halders Kriegstagebuch zwischen Apologie und Wissenschaft. (A)
  • Barbara Manthe: Rechtsterroristische Gewalt in den 1970er Jahren. Die Kühnen-Schulte-Wegener-Gruppe und der Bückeburger Prozess 1979. (A)
  • Susanne Schregel: Das hochbegabte Kind zwischen Eliteförderung und Hilfsbedürftigkeit 1978 bis 1985. (A)
  • VfZ-Schwerpunkt Globalisierung - Olaf Bach: Ein Ende der Geschichte? Entstehung, Strukturveränderungen und die Temporalität der Globalisierungssemantik seit dem Zweiten Weltkrieg.

 

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Abstracts

Winfried Heinemann, Das Ende des Staatsstreichs. Die Niederschlagung des 20. Juli 1944 im Bendlerblock

 

Der Staatsstreich, der am Abend des 20. Juli 1944 im Bendlerblock zusammenbrach, wurde nicht von Truppen des Berliner Wachbataillons niedergeschlagen, wie es dessen Kommandeur, der fanatische Nazi Major Otto Ernst Remer, und sein Adjutant Leutnant Hans Wilhelm Hagen, nach dem Krieg immer wieder dargestellt haben. Die ersten, die sich gegen Stauffenberg und dessen Mitverschwörer stellten, waren Offiziere aus dem Stab des Allgemeinen Heeresamts. Drei von ihnen, die Oberstleutnante Herber, von der Heyde und Pridun, wurden kurz darauf bevorzugt zum Oberst befördert; außer den Beförderungen von Remer und Hagen wurde im Wachbataillon kaum jemand belobigt. Nach außen hin aber zog das Regime es vor, den „Frontkämpfer“ und Eichenlaubträger Remer sowie den Reservisten aus dem Reichspropagandaministerium Hagen als die „Männer der Stunde“ herauszustellen, und nicht die Generalstabsoffiziere aus den Büros im Bendlerblock. Auch nach dem Krieg nutzten Remer und Hagen ihre Reputation für ihre rechtsradikalen Bestrebungen, während sich die eigentlichen Umsturzgegner aus dem Bendlerblock in bürgerliche Existenzen zurückzogen und von ihrer Rolle am 20. Juli möglichst wenig wissen wollten.

 


Paul Fröhlich, Der Generaloberst und die Historiker. Franz Halders Kriegstagebuch zwischen Apologie und Wissenschaft

 

In den 1950er und 1960er Jahren überschwemmte eine Fülle von zeitgeschichtlichen Memoiren, Editionen und Dokumentationen zum NS-Regime beziehungsweise zum Zweiten Weltkrieg den Markt. Wie zuletzt Magnus Brechtken für den Fall Albert Speer zeigte, (ent-)standen einiger dieser Werke unter dem geschichtspolitischen Einfluss der ehemaligen Akteure und dienten einer weit verbreiteten Exkulpationsmentalität. Im Lichte dieser aktuellen Forschungsthemen untersucht Paul Fröhlich die Publikationsgeschichte des Kriegstagebuchs von Franz Halder, Chef des Generalstabs des Heeres zwischen 1938 und 1942. Er zeigt den außerordentlichen Einfluss Halders und dessen Entlastungsnarrative auf die Praxis der zeitgeschichtlichen Forschung seit dem Ende der 1940er Jahre und stellt die Frage nach der Akteursnähe der damaligen Historiker.

 


Barbara Manthe, Rechtsterroristische Gewalt in den 1970er Jahren. Die Kühnen-Schulte-Wegener-Gruppe und der Bückeburger Prozess 1979

 

1979 standen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Neonazis vor Gericht, denen terroristische Aktivitäten vorgeworfen wurden. Sie hatten in Norddeutschland eine Untergrundgruppe, die Kühnen-Schulte-Wegener-Gruppe, gebildet. Über diesen Fall ist, wie über den bundesdeutschen Rechtsterrorismus vor 1990 generell, bislang nur wenig bekannt. Barbara Manthe beleuchtet den Entstehungskontext und die Taten der Gruppe, die Raub- und Banküberfälle beging und politische Attentate plante. Zudem analysiert sie den Gerichtsprozess gegen die Täter in Bückeburg (Niedersachsen). Welchen Einfluss hatte der Sicherheitsdiskurs der 1970er Jahre auf die Verhandlung, die von den Verantwortlichen ausdrücklich Terroristenprozess präsentiert wurde? Waren die Angeklagten darin erfolgreich, mit Propaganda und Provokation vor Gericht ihre eigene terrorist show zu inszenieren?

 


Susanne Schregel, Das hochbegabte Kind zwischen Eliteförderung und Hilfsbedürftigkeit 1978 bis 1985

 

Im Laufe der konservativen Wende der 1980er Jahre wurde Hochbegabung in der Bundesrepublik zu einem Schlüsselbegriff, um das Verhalten und die Bildungserfahrungen von Kindern und Jugendlichen zu deuten. Susanne Schregel zeigt, wie sich Debatten um das Wohl und Wehe des hochbegabten Kinds mit Auseinandersetzungen um Elitebildung, Gerechtigkeit und Leistung in der Demokratie verbanden. Sie macht deutlich, wie sich das hochbegabte Kind in einer politisch polarisierten Situation als eine Kippfigur konstituierte, die je nach Wahrnehmung und Betrachtungswinkel ein anderes Motiv ergab: Mit Referenzen der Spitzenbegabung und Elite verhieß das hochbegabte Kind besondere Fähigkeiten, Leistung und Erfolge. Diese Termini der Spitze und der Führung negierte die Figur jedoch sogleich wieder, indem sie in solche der Gefährdung und Hilfe übersetzt wurden. Durch ihre inneren Ambiguitäten erweist sich die Figur des hochbegabten Kindes damit als symptomatisch für die Widersprüche einer Gesellschaft, die in Abwendung von bildungspolitischen Leitlinien der 1970er Jahre individuelle Auslese und Spitzenförderung zu betonen begann, ohne jedoch das Versprechen der Gleichheit ausdrücklich aufgeben zu wollen. 

 


Olaf Bach, Ein Ende der Geschichte? Entstehung, Strukturveränderungen und die Temporalität der Globalisierungssemantik seit dem Zweiten Weltkrieg

 

Der Begriff Globalisierung stellt für sich genommen ein historisches Phänomen dar. Seine Geschichte verweist auf globale oder global imaginierte gesellschaftliche Kontexte seiner Entstehung und Popularisierung. Die semantischen Strukturveränderungen seines Gebrauchs spiegeln politische und wirtschaftliche Gegensätze und Dynamiken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und schließlich ist der Begriffsentwicklung eine Temporalität eigen, die sich nicht in einer ins Globale gesteigerten, nochmaligen Beschleunigung der geschichtlichen Zeit erschöpft, sondern vielmehr eine spezifische Ungeschichtlichkeit der Globalisierung als „unvollendete Tatsache“ anzeigt.



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