Heft 4/2020

  • Christian Lübcke: „Hat nichts mit Wahrheitsfindung zu tun“. Der Kieler Matrosenaufstand von 1918 und die deutsche Militärgeschichtsschreibung. (A)
  • André Keil/Matthew Stibbe: Ein Laboratorium des Ausnahmezustands. Schutzhaft während des Ersten Weltkriegs und in den Anfangsjahren der Weimarer Republik – Preußen und Bayern 1914 bis 1923. (A)
  • Podium Zeitgeschichte: Jenseits von Donald Trump. Zeithistorische Annäherungen an die deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945: Philipp Gassert, Andreas Etges, Stormy-Annika Mildner, Michael Hochgeschwender, Reinhild Kreis und Jan Logemann.
  • VfZ-Schwerpunkt Globalisierung - Andreas Wirsching: „Kaiser ohne Kleider“? Der Nationalstaat und die Globalisierung.

 

 

Bestellmöglichkeiten


Abstracts

Christian Lübcke, „Hat nichts mit Wahrheitsfindung zu tun“. Der Kieler Matrosenaufstand von 1918 und die deutsche Militärgeschichtsschreibung

 

Der Kieler Matrosenaufstand von 1918 ist bis heute die größte Meuterei in der deutschen Ge­schich­te. Aus einzelnen Matrosenerhebungen entwickelte sich binnen weniger Tage eine lan­des­weite Revolte in Marine und Heer, die in der Novemberrevolution gipfelte. Die deutsche Mi­­­litär­­ge­schichts­­­schreibung hatte jahrzehntelang große Schwierigkeiten mit diesem Ereignis­kom­plex, wobei das Quellen- und Deutungsmonopol der von Akteuren in Offiziersuniform do­mi­nierten amtlichen Kriegshistoriografie stark ins Gewicht fiel. Christian Lübcke kann auf der Ba­sis bislang kaum beachteter Dokumente zeigen, dass in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und noch in der jungen Bundesrepublik Sicht­weisen dominierten, die wenig mit Wis­sen­schaft, aber umso mehr mit Selbstrechtfertigung, Re­visio­nis­mus und Apologie zu tun hatten.

 


André Keil/Matthew Stibbe, Ein Laboratorium des Ausnahmezustands. Schutzhaft während des Ersten Weltkriegs und in den Anfangsjahren der Weimarer Republik – Preußen und Bayern 1914 bis 1923

 

Der Beitrag untersucht Kontinuitäten im Einsatz von Schutzhaft als Mittel des Ausnahmezustands zwischen 1914 und 1923 mit einem Fokus auf die beiden größten deutschen Staaten, Preußen und Bayern. Er behandelt Schutzhaft nicht nur als juristisches Konstrukt, sondern als einen neuen, experimentellen Raum für exekutives Handeln gegen eine Bandbreite von imaginierten, sowohl sozialen wie politischen „internen Feinden“. Der Beitrag argumentiert, dass Unterschiede zwischen den formalen rechtlichen Ordnungsrahmen bezüglich der Schutzhaft in Preußen und Bayern wenig Auswirkungen auf ihre praktische Anwendung oder ihre politische Zielsetzung hatten. Weiterhin erzeugte die Schutzhaft in beiden Staaten Mentalitäten, die lange nach Ende des Kriegs selbst weiterbestanden und dabei halfen, die gewaltorientierten Fundamente der frühen Weimarer Jahre zu legen. Jedoch sorgten eine Reihe von Kontrollmechanismen – auch im rechtlichen und politischen Bereich – dafür, dass es sich hier nicht um direkte Vorboten des Naziterrors von 1933/34 handelt.

 


Podium Zeitgeschichte: Jenseits von Donald Trump. Zeithistorische Annäherungen an die deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945

 

Das Podium Zeitgeschichte wirft ein kritisches Schlaglicht auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei werden Faktoren der Stabilität und des Wandels herausgearbeitet, Kontinuitäten und Zäsuren untersucht, das spezifische Gewicht organisatorischer Strukturen der internationalen Politik bestimmt, der Einfluss personeller Konstellationen problematisiert und die Grenzen des transatlantischen Verständnisses ausgelotet. Dazu präsentiert das Podium Zeitgeschichte fünf sektorale Analysen auf Feldern von besonderer Bedeutung: erstens die bilateralen politischen Beziehungen im Kontext der internationalen Politik (Philipp Gassert); zweitens Partnerschaft und Kontroversen unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheits- und Bündnispolitik (Andreas Etges); drittens Wirtschaft, Handel und Finanzen als ebenso stabilisierende wie konfliktbehaftete Säule des transatlantischen Austauschs (Stormy-Annika Mildner); viertens Konjunkturen des Konservatismus als Gradmesser für Kommunikationskanäle und -blockaden zwischen der Bundesrepublik und den USA (Michael Hochgeschwender); fünftens gegenseitige Wahrnehmungen, Bilder und Stereotype, deren Dekonstruktion eine bessere Bestimmung des Grads von Nähe oder Fremdheit zulässt (Reinhild Kreis und Jan Logemann).

 


Andreas Wirsching, „Kaiser ohne Kleider“? Der Nationalstaat und die Globalisierung

 

Globalisierung gehört zu den wichtigsten Bewegungsbegriffen unserer Zeit und bedarf einer systematischen Analyse, um wissenschaftlich brauchbar zu sein. Insbesondere stellt das spannungsreiche Verhältnis von Nationalstaat und Globalisierung für die zeitgeschichtliche Forschung eine bedeutende fachliche und methodische Herausforderung dar. Die Zeitgeschichte sollte sie annehmen und über diese wichtige Thematik in einen Dialog mit den Sozialwissenschaften treten. Der Artikel plädiert für einen engeren Globalisierungs-Begriff, der die jüngeren Entwicklungen von früheren Jahrhunderten unterscheidet und um 1970 ansetzt. In dieser Zeit begann die Globalisierung als ein politisches Projekt der westlichen Industriestaaten, angeführt von den USA. Seit den 1990er Jahren veränderte sie grundlegend die Raumvorstellungen der Nationalstaaten. Die Verflüssigung nationaler Grenzen wurde in längerfristige nationale Traditionen eingeordnet, was erhebliche Unterschiede in den jeweiligen nationalen Haltungen zur Globalisierung erzeugte.

 



© Institut für Zeitgeschichte
Content