„Vater und Sohn“ als Wahlkampfhelfer?

Neuzugang der IfZ-Bibliothek: Eine Propagandabroschüre aus der NS-Zeit

Bis heute erfreuen sich die Bildergeschichten über „Vater und Sohn“ großer Beliebtheit – sie werden nachgedruckt, in Ausstellungen gewürdigt und auch für den Deutschunterricht an Schulen eingesetzt. Auch ihr Verfasser Erich Ohser, besser bekannt unter dem Pseudonym „e. o. plauen“, hat in den vergangenen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit gefunden. Mit seinen beiden Freunden Erich Kästner und Erich Knauf hatte er nicht nur den Vornamen, sondern auch eine den Nationalsozialismus scharf ablehnende politische Grundhaltung und darin wurzelnde publizistische Aktivitäten gemeinsam. Dem Freundestrio der „drei Erichs“ ist auch der Versuch des Rückzugs in die innere Emigration ab 1933 gemeinsam, wobei dieser für Knauf und Ohser, nachdem sie 1944 denunziert worden waren, tragisch in einem Todesurteil durch den Volksgerichtshof bzw. im Falle Ohsers in einem unmittelbar vor dem Prozess begangenen Suizid endete.

Der menschenverachtenden Brutalität der NS-Diktatur wie auch der propagierten soldatischen Männlichkeit und Disziplin scheint die von Humanität, Heiterkeit und liebevoller Nachsicht geprägte Welt von „Vater und Sohn“ diametral entgegenzustehen. Das Zeichenfigurenpaar bildet in der Biografie Erich Ohsers seinen größten Erfolg, mit dem er ab 1934 für mehrere Jahre das Einkommen seiner Familie sichern konnte. Parallel musste sich Ohser, wie seine Biografin Elke Schulze herausgearbeitet hat, mit den NS-Institutionen wiederholt über seine Berufserlaubnis auseinandersetzen, die ihm erst 1936 durch das direkte Eingreifen von Joseph Goebbels auf Dauer zuerkannt wurde. In der Folge konnte sich Ohser dem Druck des Regimes immer weniger entziehen; er sicherte den Unterhalt in seinen letzten Lebensjahren insbesondere mittels politischer Karikaturen für die Wochenzeitung „Das Reich“.

Wahlaufruf für den "Führer" für die Reichstagswahl 1936

Gilt diese Indienstnahme durch den Propagandaapparat ab 1940 gemeinhin als „Sündenfall" im tragischen Leben eines an sich regimekritischen Künstlers, so wird seine bekannteste Kreation „Vater und Sohn“ bis heute zumeist als eine vermeintlich unpolitische, den innerhalb der Diktatur verbliebenen Freiraum auslotende Gegenwelt wahrgenommen. Wenig geläufig ist, dass der durch die Zeichnungen populär gewordene Künstler sich nicht verweigern konnte, mit seinem realen Sohn Christian als Aushängeschild für die Sammlungen des Winterhilfswerks zur Verfügung zu stehen. Und nahezu unbekannt ist, dass die Popularität der „Vater und Sohn“-Comics auch direkt für die politische Propaganda eingesetzt werden sollte. Der Bibliothek des IfZ wurde kürzlich von einem aufmerksamen Finder im ostwestfälischen Schloß Holte-Stukenbrock als Geschenk ein kleines Faltbüchlein überlassen, das im Vorfeld der Reichstagswahl vom 29. März 1936 anzusiedeln ist und somit im zeitlichen Zusammenhang mit Ohsers Erlangen seiner Berufserlaubnis steht. Unter dem Titel „9x Sozialpolitische Tatsachen“ will der „Wahlkampf-Flyer“ von 1936, für den die Belegschaft des Deutschen Verlages für Politik und Wirtschaft verantwortlich zeichnete, soziale Errungenschaften des Regimes herausarbeiten und gipfelt in einem direkten Wahlaufruf für den „Führer“. Als Illustration dienen jeweils Zeichnungen, die das beliebte Figurenpaar vordergründig affirmativ in der Welt der politischen Propaganda ansiedeln, dabei aber auch, wie Detlef Manfred Müller analysiert hat, mancherlei Distanzierungen und ironische Brechungen enthalten. Für die IfZ-Bibliothek stellt das in der einschlägigen Literatur selten erwähnte, Erich Ohsers Biografie illustrativ bereichernde Stück, wie auch viele andere in den vergangenen Jahrzehnten erhaltene Geschenke, eine wertvolle Bestandsergänzung dar.

Dr. Daniel Schlögl, Leiter der IfZ-Bibliothek

Quelle und Bildnachweis:

  • Plauen, E. O. (Künstler): 9 x sozialpolitische Tatsachen. - Berlin: Belegschaft des Deutschen Verlages f. Politik u. Wirtschaft, [ca. 1936] (Signatur der IfZ-Bibliothek: 03/Fk 9547)


Zum Weiterlesen:

  • Müller, Detlef Manfred: Erich Ohser – e.o. plauen (1903 – 1944), Vater und Sohn & die Berliner Illustrirte Zeitung der Jahre 1934 – 1937 : ein Idyll mit doppeltem Boden?. – Plauen: Kulturbetrieb [u.a.], 2009 (Signatur der IfZ-Bibliothek: 00/18q.0172)
  • Schulze, Elke: Erich Ohser alias E. O. Plauen – die Werkausgabe : Zeichnungen, Illustrationen, Karikaturen, Witzbilder und „Vater und Sohn“-Bildgeschichten. – Konstanz: Südverlag, [2017] (Signatur der IfZ-Bibliothek: 00/18q.0025)
  • Schulze, Elke: Erich Ohser alias e.o.plauen : ein deutsches Künstlerschicksal. – Konstanz: Südverlag, 2014 (Signatur der IfZ-Bibliothek: 00/18.0673)