Die nationalsozialistische Wohnungspolitik im Protektorat Böhmen und Mähren
Die Gebiete Böhmen und Mähren waren aufgrund ihrer fortschrittlichen Waffenproduktion und ausgedehnten industriellen Wirtschaftskraft von besonderer Bedeutung für die Kriegspläne der Nationalsozialisten. Die Region war ideologisch aufgeladen und wurde eng mit historisch-völkischen Propagandamythen verknüpft. Die langfristige Besatzungsstrategie der Nationalsozialisten sah für das Protektorat eine Politik der schrittweisen Germanisierung vor.
Um das Gebiet zu kontrollieren, errichteten die Nationalsozialisten einen umfassenden Verwaltungsapparat, dessen Einfluss bis in alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens reichte.Die Folge diesernStrategie war ein großer Zustrom von deutschen Beamten und Funktionären in die Hauptstadt, der bereits wenige Tage nach der Etablierung des Protektorates einsetzte. Der daraus resultierende Wohnungsbedarf für ebenjene Beamte traf in Prag auf einen bereits übersättigten Wohnungsmarkt, der weder durch auf dem freien Markt verfügbare Wohnungen noch durch eine langsam voranschreitende Baupolitik gelöst werden konnte. Die Bedeutung der Beamten für die geplante Besatzungsstrategie machte ihre Ansiedelung in Prag jedoch alternativlos.
Mein Dissertationsprojekt zielt auf eine Analyse der nationalsozialistischen Wohnungspolitik im Protektorat Böhmen und Mähren und ihren Auswirkungen ab. Im Fokus stehen dabei die Wohnungen enteigneter und entmieteter Juden, die einen zentralen Baustein in der NS-Wohnungspolitik der Okkupationsverwaltung darstellten. Rund 15.000 jüdische Wohnungen sollten dazu genutzt werden, die Unterbringung deutscher Beamter in Prag zu ermöglichen. Es gilt dabei insbesondere zu klären, ob der dringende Bedarf an (jüdischen) Wohnungen Auswirkungen auf die Organisation, Umsetzung und Geschwindigkeit des Holocausts im Gebiet des Protektorats hatte.
Aufbauend auf meiner Masterarbeit, in der die Akteursebene der Täter im Vordergrund stand, will ich im Rahmen meiner Doktorarbeit verstärkt den Einfluss der nationalsozialistischen Wohnungspolitik auf die Erfahrungsebene der Opfer untersuchen. So soll beispielsweise nach der Rolle der Treuhandstelle gefragt werden, die von der Jüdischen Kultusgemeinde geführt wurde und der Zentralstelle für jüdische Auswanderung unterstand. Auch die Lebenssituation in „Judenhäusern“, die für enteignete und entmietete Juden eine Zwischenstation vor einer endgültigen Deportation darstellten, rückt in den Fokus meiner Untersuchungen.