Heft 2/2019

Aufsätze:

  • Florian Greiner: Säkulares Sterben? Die Kirchen und das Lebensende in der Bundesrepublik Deutschland. (A)
  • Benjamin Ziemann: Martin Niemöller als völkisch-nationaler Studentenpolitiker in Münster 1919 bis 1923. (A)
  • Marcus Klein: Walther Rauff und die chilenische Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Eine transnationale Spurensuche nach einem beharrlichen Gerücht. (A)
  • Mathias Häußler: Ein britischer Sonderweg? Ein Forschungsbericht zur Rolle Großbritanniens bei der europäischen Integration seit 1945. (A)
  • Jürgen Brautmeier: Wie Albert Speer dem Galgen entging. Zur Genesis der Überlebensstrategie des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion im Mai 1945. (Dok)
  • Das Kanzleramt – Bundesdeutsche Demokratie und NS-Vergangenheit. Ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte und des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung. (N)

 

Bestellmöglichkeiten

 


Abstracts

Florian Greiner, Säkulares Sterben? Die Kirchen und das Lebensende in der Bundesrepublik Deutschland

 

Tod und Sterben unterlagen in der Moderne, so eine gängige, aber empirisch nicht hinreichend belegte Annahme in der thanatologischen Forschung, einer durchgreifenden Säkularisierung, die zum Verlust von Übergangsriten, Sicherheit (Jenseitsvorstellungen) und menschlicher Nähe geführt habe. Der Aufsatz fragt nach der tatsächlichen Rolle von Kirchen und christlichem Glauben für die Neubestimmung des Lebensendes nach 1945 im Spannungsfeld von Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Die übergreifende These lautet, dass kirchliche Akteure in diesem Bereich weiter erfolgreich eine Kompetenz beanspruchten, die sie auf vielen anderen Feldern der Lebensbegleitung verloren hatten, und die neuen gesellschaftlichen Probleme rund um das Lebensende als Chance begriffen, die öffentliche Sichtbarkeit der Religion zu erhöhen sowie deren Bedeutung zu betonen.

 


Benjamin Ziemann, Martin Niemöller als völkisch-nationaler Studentenpolitiker in Münster 1919 bis 1923

 

Martin Niemöller (1892–1984), im NS-Regime einer der zentralen Protagonisten der Bekennenden Kirche, studierte von 1919 bis 1923 an der Universität Münster evangelische Theologie. In dieser Zeit war er in insgesamt acht rechtsradikalen und rassenantisemitischen Parteien und Verbänden aktiv, darunter vor allem in der Studentengruppe der Deutschnationalen Volkspartei – deren Vorsitzender er vom Frühjahr 1920 bis zum Ende des Wintersemesters 1920/21 war – und jener des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbunds. Der Aufsatz zeichnet die rastlosen Aktivitäten Niemöllers in diesen Gruppen nach, zu denen auch paramilitärische Arbeit in der Organisation Escherich gehörte, und analysiert kämpferischen Antibolschewismus und völkisch-rassistischen Antisemitismus als die verbindenden Klammern für Niemöllers Engagement im rechtsradikalen Studentenmilieu.

 


Marcus Klein, Walther Rauff und die chilenische Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Eine transnationale Spurensuche nach einem beharrlichen Gerücht


Nach dem Sturz der demokratischen Regierung Salvador Allendes (1970–1973) durch das chilenische Militär unter der Führung von Augusto Pinochet kamen rasch Meldungen auf, dass der bekannte NS-Kriegsverbrecher Walther Rauff an den massiven Menschenrechtsverbrechen der Diktatur (1973–1990) beteiligt sei. Genannt wurde in diesem Zusammenhang immer wieder die Dirección de Inteligencia Nacional (DINA), der nationale Geheimdienst. Obwohl nie stichhaltige Beweise für eine solche Tätigkeit vorgelegt wurden, hielten sich die Anschuldigungen hartnäckig, und das bis heute. Marcus Klein geht den Ursprüngen dieser Vorwürfe nach, zeichnet deren Ausbreitung und analysiert, welche Bedeutung diesem Gerücht in der transnationalen Auseinandersetzung mit dem Militärregime insbesondere in den 1970er Jahren zukam.

 


Mathias Häußler, Ein britischer Sonderweg? Ein Forschungsbericht zur Rolle Großbritanniens bei der europäischen Integration seit 1945

 

Das Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 rückte die bislang eher marginal beachtete Forschungsliteratur zu Großbritanniens Rolle in der europäischen Integration seit 1945 ins Zentrum historischen Interesses. Der hier vorgelegte Forschungsbericht befasst sich mit der Frage, worin die tieferen Gründe für die unterschiedlichen europapolitischen Positionen Großbritanniens gegenüber anderen EG-Staaten wie insbesondere Frankreich und Deutschland liegen, und inwiefern man hierbei von einem britischen Exzeptionalismus sprechen kann. Dabei werden die einschlägigen Studien zur kritischen Geschichte mit konzeptionellen Entwicklungen der europäischen Integrationsgeschichte verknüpft. Als Ergebnis zeigt sich die besondere Stärke der Zeitgeschichte, gefestigte Deutungsmuster konsequent zu historisieren und auch die Einbettung in den Kontext auf den Prüfstand zu stellen.

 


Jürgen Brautmeier, Wie Albert Speer dem Galgen entging. Zur Genesis der Überlebensstrategie des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion im Mai 1945

 

Albert Speer stand unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Visier verschiedener westlicher Geheimdienste. Schon für seine ersten alliierten Verhöre hatte er sich eine Verteidigungsstrategie zurechtgelegt, die ihn später in Nürnberg vor dem Galgen retteten sollte. Ein bisher nicht beachtetes Protokoll vom 1. Juni 1945 in einer Akte im britischen Nationalarchiv belegt, wie er zu dieser Zeit noch einzelne Elemente seiner späteren Erzählungen modifizierte und optimierte. Die Akte liefert nicht nur tiefere Einblicke in das Anfangsstadium der Entwicklung seiner Strategie, sondern auch Hinweise auf die Erwartungen im Foreign Office an sein Auftreten beziehungsweise seine Wirkung in dem zu erwartenden Kriegsverbrecherprozess.