Ganze Generationen gingen verloren

Kommentar zum Referentenentwurf der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Von Johannes Hürter, Felix Lieb, Helena Schwinghammer, Martina Steber und Niels Weise

Jede Geisteswissenschaftlerin, jeder Geisteswissenschaftler, der in Deutschland an einer Universität oder einem Forschungsinstitut arbeitet, hat diesen Moment erlebt: Im Freundeskreis kommt die Sprache auf die arbeitsrechtlichen Bedingungen einer wissenschaftlichen Karriere, auf endlose Befristungen, ständige Begutachtungen, Mobilitätsforderungen und personale Abhängigkeiten. Regelmäßig erntet man ungläubiges Nachfragen, Kopfschütteln und schließlich die Frage: Warum tust Du Dir das an? Wir, ca. 70 Historikerinnen und Historiker am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ), tun uns das an, weil uns der Enthusiasmus für die Forschung, ein brennendes Mehr-Wissen-Wollen, das Schreiben gegen das Vergessen der Diktatur- und Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts antreiben. Doch Idealismus, persönliche Erfüllung und die Bedeutung zeithistorischer Forschung in der Demokratie rechtfertigen nicht die Arbeitsbedingungen, vor die wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland gestellt sind.

Das Wissenschaftszeitsvertragsgesetz (WissZeitVG) erlaubt Sonderbefristungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen von maximal zwölf Jahren nach dem Master-Abschluss, die der Qualifizierung für die Professur dienen sollen. Mangels unbefristeter Stellen nach Ablauf dieser zwölf Jahre und einer Inflation von Drittmittelbefristungen, die von der Zwölfjahresregel ausgenommen sind, stehen diese Regelungen mittlerweile zurecht im Fokus der öffentlichen Debatte. Denn viel zu oft beenden sie akademische Karrieren, anstatt sie zu fördern. Dass die Bundesregierung sich dieses Missstandes annimmt, ist nur zu begrüßen. Allerdings wird die Reform, wenn sie dem im Juni vorgelegten Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung folgt, die Probleme nicht lösen, sondern sie im Gegenteil ganz eklatant verschärfen.

Das gilt besonders für die Geisteswissenschaften in Deutschland, in denen die Befristungsproblematik auf Grund einer desolaten Unterfinanzierung geisteswissenschaftlicher Fakultäten und Forschungseinrichtungen besonders virulent ist. Geisteswissenschaftliche Forschung beruht in weiten Teilen auf Drittmittelförderung. In der Debatte um die Reform des WissZeitVGs und in den Stellungnahmen der großen Verbände und Dachorganisationen kommt diese Problematik nicht vor. Ebenso wenig wird über die Auswirkungen in der Praxis nachgedacht. Welche konkreten Folgen also hätte die avisierte Reform für unser Fach, die Zeitgeschichte, und die zeithistorische Forschung in der Bundesrepublik?

Die vom BMBF vorgeschlagene 4+2-Regel, sprich: vier Jahre Befristung in der Qualifizierungsphase nach der Promotion, plus zwei weitere Jahre Befristung, sofern eine Entfristungszusage vorliegt, würde bedeuten, dass nur noch dann junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigt werden können, wenn eine fest etatisierte Stelle frei wird. Angesichts der äußerst niedrigen Zahl solcher Stellen an Universitäten und Forschungsinstituten in unserem Fach wäre dies praktisch unerfüllbar. Die beruflichen Chancen werden sich daher radikal verringern. Denn für die meisten würde die Reform eine faktische Verkürzung der Post Doc-Phase um zwei Jahre bedeuten. Bei ihnen müsste nach vier Jahren Befristung das Arbeitsverhältnis beendet werden, ohne dass sie das Qualifizierungsziel (die Habilitation) erreicht hätten und berufungsfähig wären. Die im Fach Geschichte etablierte Qualifizierung über die Habilitation wäre für das Gros der jungen Forscherinnen und Forscher nicht realisierbar. Ganze Generationen würden für Forschung und Lehre verloren gehen.

Dazu kommt, dass sich mit der Reform an dem drückenden Problem der Dauerbefristung nichts ändern wird. Für all jene, die nicht das Glück haben, nach der Promotion eine der raren entfristeten Stellen an einem Forschungsinstitut zu ergattern oder eine jener wenigen Assistenzen an einer Universität, die unter föderale Hochschulgesetze fallen und damit vom WissZeitVG nicht tangiert sind, bleibt nur der Wechsel in ein anderes Berufsfeld oder die Unsicherheit der Drittmittelbefristung. Diese würde unter dem reformierten System noch zunehmen, denn Etatstellen, die für Entfristungen benötigt würden, müssten wegen des neu vorgeschriebenen Vorrangs der Qualifizierungs- vor der Drittmittelbefristung für die Qualifizierungszeit eingesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Anschlusszusage sinkt dadurch noch zusätzlich. Kürzere Übergangsfinanzierungen zwischen zwei Drittmittelstellen wären ebenfalls nicht mehr möglich.

Eine geschichtswissenschaftliche Karriere gleicht unter diesen Umständen einem Vabanque-Spiel ohne jede Aussicht auf Erfolg. Der exzellente Nachwuchs wird sich zukünftig noch stärker vom Fach abwenden, als er das ohnehin schon tut. Viele Universitäten und Forschungsinstitute wären nicht mehr in der Lage, ihren Forschungsauftrag zu erfüllen.

Dabei wäre es, so die Logik der geplanten Reform, ein Leichtes, die systemische Zumutung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die im Übrigen nicht nur die jüngeren Jahrgänge trifft, zu brechen, indem die Zahl der Dauerstellen vergrößert wird. Dies würde auch jenen Angehörigen des akademischen Mittelbaus eine Perspektive bieten, die ihre Erfüllung im Forschen oder Lehren finden und keinen Lehrstuhl anstreben. Die Schaffung von mehr Dauerstellen ist indes auf Grund der knappen Grundfinanzierung von Universitäten und Forschungseinrichtungen nicht möglich. Als Arbeitgeber sind ihnen die Hände gebunden. Im Falle der Zeitgeschichte steht die unzureichende Grundfinanzierung in eklatantem Widerspruch zu den Anforderungen und Erwartungen, die seitens der Politik, von medialer Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft gestellt werden. Der Bedarf an wissenschaftlich gesichertem Orientierungswissen gerade in der Zeitgeschichte ist enorm. Bislang wird diesem Bedarf in erster Linie über Projektforschung entgegengekommen.

Die politisch gewollte Dauerflexibilität indes, die im Namen von Projekt und Leistung, Wettbewerb und Innovation daherkommt, wird auf dem Rücken der Forscherinnen und Forscher erkauft, denen in der für die Familiengründung bedeutenden Lebensphase jede Sicherheit verweigert wird. Für Engagement in der betrieblichen Mitbestimmung, der Gleichstellung oder der Doktorandenvertretung bleibt kaum noch Zeit. Der beträchtliche Verwaltungsaufwand führt zum Aufwuchs von aus Haushaltsmitteln finanzierten Verwaltungsapparaten. Forschungskapazität wird in die Entwicklung immer neuer Projektanträge und das komplexe Projektmanagement investiert, die Forschung selbst rückt in den Hintergrund. Hier liegt der Kern des Problems.

Wir Historikerinnen und Historiker am IfZ, ob jünger oder älter, ob entfristet oder befristet, ob in Leitungspositionen oder in der Projektforschung, sind in den Widersprüchen des Systems gefangen. Wir suchen die Spannungen abzufedern, die Zumutungen auszuhalten und uns die Freude an zeithistorischer Erkenntnis nicht nehmen zu lassen. Wer ein Ende dieses Systems ehrlich will, muss die arbeitsrechtliche Reform mit einer Reform der Forschungsfinanzierung koppeln. Geschieht dies nicht, wird dies für die gesamte historische Forschung in Deutschland massive, extrem negative Auswirkungen haben.



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