„Vielen stehen unter Weihe des Augenblicks die Tränen in den Augen.“

Kardinal Faulhabers Tagebuch gewährt unbekannte Einblicke in das Papstkonklave 1922

Die Wahl eines Papstes findet traditionell unter absoluter Geheimhaltung statt. Die beteiligten Kardinäle sind per Eid zum Schweigen verpflichtet – ansonsten droht die sofortige Exkommunikation. Doch Michael Kardinal von Faulhaber, der frühere Erzbischof von München und Freising, hat in einem privaten Reisetagebuch seine Erlebnisse beim Papst-Konklave 1922 festgehalten. Das Forscherteam der Universität Münster und des Instituts für Zeitgeschichte, das in einer großangelegten Online-Edition die Tagebücher des Münchner Kirchenfürsten bearbeitet, hat jetzt dieses bislang unveröffentlichte Zeitdokument in den Aufzeichnungen des Kardinals entdeckt. 

„Extra omnes“ – „alle hinaus“. Diese berühmten Worte spricht der Zeremonienmeister zu Beginn des Konklaves. Von nun an sind die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle ohne Kontakt zu Außenwelt eingesperrt. Ihre einzige Aufgabe: Die Wahl eines neuen Papstes, des neuen Stellvertreters Jesu Christi auf Erden. 

Sobald die Türen des Wahllokals ins Schloss fallen, erfährt die Öffentlichkeit nichts mehr. Erst der weiße Rauch informiert über die erfolgreiche Wahl. Das Konklave stellt eine einzige Blackbox für die Außenwelt dar. Die Kardinäle sind zur absoluten Geheimhaltung per Eid verpflichtet – bei Zuwiderhandlung droht ihnen die sofortige Exkommunikation. Sämtliche Wahlunterlagen werden sofort verbrannt. Historische Quellen existieren also nicht. Aber was passiert während der Wahl? Welche Fraktionen stehen sich gegenüber? Wie reagieren die Wähler und schließlich der Gewählte? Fragen heute aktueller denn je.

Richtungswahl zwischen konservativen Hardlinern und gemäßigten Reformern

Kardinal Michael von Faulhaber, der von 1917 bis 1952 Erzbischof von München und Freising war, vertraute seine Eindrücke aus dem Konklave 1922 seinem Tagebuch an – in der heute nicht mehr gebräuchlichen Gabelsberger-Kurzschrift. Bisher waren diese hochspannenden Aufzeichnungen, die im Archiv des Erzbistums München und Freising liegen, von der Forschung unbeachtet geblieben. Das Team der Online-Edition der Tagebücher Faulhabers hat diese Quelle als Teil eines weit umfangreicheren Romreisetagebuchs gehoben und transkribiert – bisher unveröffentlicht und nicht Teil der Faulhaber-Edition. 

Kardinal Faulhabers Aufzeichnungen gewähren erstmals einen verblüffenden Blick durch das Schlüsselloch hinein in das Konklave von 1922, bei dem er als einer von 53 Kardinälen teilnahm. Bei dieser Papstwahl handelte es sich um nichts weniger als eine Richtungswahl. Es standen sich zunächst zwei Gruppen unerbittlich gegenüber: Auf der einen Seite die konservativen Hardliner mit ihrem Kandidaten Pietro La Fontaine und auf der anderen Seite die gemäßigten Reformer um Pietro Gasparri, die sich aber gegenseitig blockierten. Erst nach fünf Tagen und 14 Wahlgängen konnte ein Kompromisskandidat die erforderliche Zweidrittelmehrheit auf sich vereinen: Achille Ratti, der Erzbischof von Mailand, der sich den Namen Pius XI. (1922–1939) gab.

Kardinal Faulhabers eindrücklicher Bericht aus dem Konklave setzt am allerletzten Wahltag an, den 6. Februar 1922. Er bietet eine atmosphärische Beschreibung des Konklaves ohne die Geheimhaltungspflicht zu verletzten. 



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