Ein Lehrstück über den ambivalenten Umgang mit der NS-Vergangenheit
Nun liegen die Ergebnisse des Forschungsprojekts in einem Referenzband vor, der alle vier Einzelstudien vereint. Die Publikation liefert Antworten auf die bislang offene Frage, wie sich das Kanzleramt im Spannungsfeld von Demokratie und NS-Vergangenheit bewegte. Die Studien bestätigen eindringlich, dass die Überwindung autoritärer Strukturen des Regierens, Verwaltens und öffentlichen Kommunizierens ebenso wie der Wechsel auf ein nicht NS-belastetes Personal in der zentralen bundesdeutschen Steuerungsbehörde ein langwieriger Prozess war, der sich über Jahrzehnte hinzog und keineswegs linear verlief. Gemessen am Anspruch, eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu sein, waren das Bundeskanzleramt und das Bundespresseamt ebenso Teil des Problems wie seiner Lösung. Gerade in der Ära Konrad Adenauers und Hans Globkes überwogen eindeutig die Blockaden gegenüber der Bereitschaft zu Veränderung, Reform und Öffnung. Damit steht umso nachdrücklicher die in der Forschung seit langem aufgeworfene Frage im Raum, wie sich angesichts dieser Voraussetzungen im zweiten Anlauf die mittlerweile über 75 Jahre währende Stabilität einer demokratischen Ordnung herausbilden konnte. Einerseits erschwerten zweifellos die NS-Vergangenheit und der ambivalente Umgang mit ihr den Neustart. Andererseits lässt sich darüber diskutieren, ob es nicht gerade die aus heutiger Sicht so fragwürdigen Demokratievorstellungen und ihre Vermittlung durch Personen mit signifikanter NS-Vergangenheit zusammen mit Adenauers autoritärem Führungsstil und seinem virulenten Antikommunismus waren, die es einer durch Diktatur und Krieg geprägten Bevölkerung erleichterten, sich auf die zweite deutsche Demokratie einzulassen.