Alfred Bauer und das NS-Regime

Vorstudie belegt funktionale Verflechtung des früheren Berlinale-Leiters mit dem Propaganda-Apparat des Nationalsozialismus

Das Institut für Zeitgeschichte München−Berlin (IfZ) hat im Auftrag der Internationalen Filmfestspiele Berlin eine Vorstudie über Dr. Alfred Bauer, den ersten Leiter der Berlinale, erstellt. Die Festivalleitung wollte damit drängende Fragen über Alfred Bauers Funktion in der NS-Zeit untersuchen, die mehrere Medienveröffentlichungen aufgeworfen hatten. Die IfZ-Studie kommt zu dem Schluss, dass Alfred Bauer durch seine Tätigkeit bei der Reichsfilmintendanz einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Funktionieren des deutschen Filmwesens innerhalb der NS-Diktatur und damit zur Stabilisierung und Legitimierung der NS-Herrschaft leistete. Diese Rolle hat Bauer nach 1945 systematisch verschleiert.

Alfred Bauer war von 1942 bis 1945 Referent der Reichsfilmintendanz (RFI), einer zentralen Institution zur Steuerung der deutschen Filmproduktion im NS-System. Neben Besetzungs- und Personalfragen, darunter auch Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit, war die RFI u. a. auch für die Koordinierung des Filmvertriebs, die Filmzensur sowie die Filmproduktion während des „totalen Kriegs“ verantwortlich. Alfred Bauer war als einer von zwei Referenten für die eigentliche Bearbeitung der Geschäftsgänge zuständig.
Der Historiker Tobias Hof, der die Studie im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte seit März durchführte, hat dafür zahlreiche Sekundärliteratur sowie Archivalien des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde, der National Archives in Washington D.C., des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin, der Deutschen Kinemathek und des Landesarchivs Berlins gesichtet. „Diese Materialien verdeutlichen, dass Alfred Bauer als Referent der Reichsfilmintendanz über die gesamten Abläufe und Vorgänge in der deutschen Filmindustrie und -produktion bestens informiert war und im Bereich der Produktionsplanung eine zentrale Rolle spielte. Die Dokumente verdeutlichen ferner, dass er nicht nur ein wichtiger Funktionär innerhalb der RFI war, sondern seine dortige Aufgabe auch engagiert und pflichtbewusst erledigte.“ Die führenden Funktionäre der RFI seien sich ihrer Rolle innerhalb des deutschen Filmwesens bewusst gewesen und auch der Bedeutung des Mediums Film für das NS-System – und damit auch ihrer eigenen Verantwortung. Allerdings, so Hof, würden die bislang eingesehenen Akten nur bedingt Aussagen über Bauers persönliche Entscheidungskompetenz und seine Gestaltungsspielräume sowie über seine eigenen Ansichten zum Medium Film erlauben.

Bewusste Falschaussagen während des Entnazifizierungsverfahrens
 

Als entlarvend könne dagegen die Entnazifizierungsakte aus dem Landesarchiv Berlin bezeichnet werden: Während seines Entnazifzierungsverfahrens wollte Alfred Bauer durch bewusste Falschaussagen oder Halbwahrheiten nicht nur seine Vergangenheit in der NSDAP, in anderen Parteiorganisationen (u. a. der SA und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt NSV) und in der Reichsfilmintendanz verschleiern bzw. klein reden. Vielmehr versuchte er, die teils chaotischen Verhältnisse im Berlin der Nachkriegszeit auszunutzen, und sich ein Image eines überzeugten und aktiven Gegners des NS-Regimes zu konstruieren. Tobias Hof: „Seine Argumentations- und Verteidigungsstrategien weisen dabei zwar zahlreiche Ähnlichkeiten zu vergleichbaren Fällen auf, aber die Dreistigkeit seines Vorgehens sticht doch hervor.“ Der Historiker sieht darin deutliche Züge eines ehrgeizigen, fast schon skrupellosen Opportunismus, der möglicherweise auch Bauers Haltung zum NS-Regime prägte.

Die Vorstudie gewährt neue Einblicke in das Leben und Wirken Alfred Bauers sowie in die Bedeutung der RFI innerhalb des NS-Filmwesens. Sie zeigt aber ebenso deutlich die Forschungslücken zur Geschichte der deutschen Filmbranche auf. Ausgehend von den ersten Ergebnissen und den aufgeworfenen Fragen, empfiehlt die Studie deshalb eine weitere und intensive Auseinandersetzung mit der Person Alfred Bauers und mit dem deutschen Filmwesen der 1940er und 1950er Jahre, wobei ein Schwerpunkt auf den Institutionen, den Personen und Netzwerken sowie den personellen und ideellen Kontinuitäten liegen müsste. Ein derartiges Projekt würde neue Einsichten in die politische und gesellschaftliche Bedeutung des deutschen Filmwesens in der späten NS-Zeit und frühen Bundesrepublik ermöglichen und dabei die wichtige Transformationsphase von der Diktatur zur Demokratie beleuchten.

Zusammenfassung der Vorstudie über Alfred Bauer



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