Funktionäre mit Vergangenheit

Die Frage nach der "braunen Vergangenheit" führender deutscher Vertriebenenpolitiker bietet seit vielen Jahren Stoff für kontroverse Debatten. Das Institut für Zeitgeschichte München – Berlin legt erstmals eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung über die politischen Haltungen und Handlungen der späteren Führungsriege des Bundes der Vertriebenen (BdV) im Dritten Reich vor. Dazu hat Michael Schwartz, wissenschaftlicher Mitarbeiter des IfZ in Berlin, die Biographien der Gründungsfunktionäre des BdV eingehend durchleuchtet und liefert damit gleichzeitig ein Lehrstück über den Umgang der frühen Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit ihrer Eliten.

 

Das Gutachten konzentriert seine Analyse auf das erste Präsidium des Bundes der Vertriebenen, das 1958 konstituiert wurde und aus dreizehn Mitgliedern bestand. Umfassende Recherchen, die neben zahlreichen deutschen auch osteuropäische Archive einbezogen, förderten ein deutliches Ergebnis zu Tage: Unter den 13 Funktionären müssen volle zwei Drittel durch Mitgliedschaften in der NSDAP oder der SS als belastet eingestuft werden. Nur zwei BdV-Vertreter zeigten deutliche Reserve gegenüber dem NS-Regime oder behielten ihre grundsätzliche Gegnerschaft konsequent bei.

 

Zwar finden sich unter den übrigen BdV-Funktionären keine so genannten „alten Kämpfer“, die schon vor Hitlers Machtergreifung 1933 in die NSDAP eingetreten waren: Doch gerade die Vertreter der mittleren und jüngeren Generationen, die in den 50er Jahren die Vertriebenenarbeit dominieren sollten, zeigten eine grundlegende Loyalität und Affinität gegenüber den braunen Machthabern.

 

Insbesondere nach dem deutschen Einmarsch in Polen ist bei mehreren späteren BdV-Funktionären belegbar, dass sie aktiv und in wachsendem Maß an der NS-Herrschaftspraxis beteiligt waren. Dazu zählen zum einen Kriegseinsätze beispielsweise im Zuge der Partisanenbekämpfung, zum anderen Führungspositionen in der Besatzungsverwaltung.

 

Dennoch konnten die Männer im Nachkriegsdeutschland hochrangige Funktionärsämter bekleiden und liefern somit ein Beispiel für die problematische Elitenkontinuität in der jungen Bundesrepublik. Das Institut für Zeitgeschichte legt damit auch einen wichtigen Forschungsbeitrag zur aktuellen Debatte um den Umgang von Bundesbehörden, Verbänden und Organisationen mit ihrer NS-Vergangenheit vor.

 

Das Gutachten, das vom Bund der Vertriebenen und seiner Präsidentin Erika Steinbach selbst angeregt und vom Bundesministerium des Innern gefördert worden war, erscheint Mitte dieser Woche im Oldenbourg-Verlag. Seine Ergebnisse stellt das IfZ in zwei öffentlichen Präsentationen mit jeweils hochkarätig besetzen Expertenpodien zur Diskussion.

 

In einer ersten Veranstaltung am Montag, 26. November in München diskutieren Historiker und Osteuropaexperten, eine zweite Veranstaltung in Berlin am 4. Dezember beleuchtet die gesellschaftspolitische Dimension der Untersuchungsergebnisse.

 

Die Daten und Teilnehmer der Veranstaltungen:

 

München, 26. November, Institut für Zeitgeschichte München, 19 Uhr:

Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, München

Prof. Dr. Matthias Stickler, Würzburg

Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Wroclaw

Prof. Dr. Michael Schwartz, Institut für Zeitgeschichte

Moderation: Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte

Veranstaltungsort ist das Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46 b, 80636 München.


 

Berlin, 4. Dezember, Collegium Hungaricum Berlin, 19 Uhr:

Erika Steinbach, MdB, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen

Wolfgang Thierse, MdB, Vizepräsident des Deutschen Bundestags

Dr. Klaus Wiegrefe, Der Spiegel

Prof. Dr. Michael Schwartz, Institut für Zeitgeschichte, Abteilung Berlin

Moderation: Prof. Dr. Peter Haslinger, Direktor des Herder-Instituts

Veranstaltungsort ist das Centrum Hungaricum Berlin, Dorotheenstraße 12, 10117 Berlin.


 

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