Counterinsurgency in historischer Perspektive

Projektinhalt:

Das Projekt zum Thema „Counterinsurgency in historischer Perspektive“ knüpft thematisch an die Arbeiten des „Wehrmachtprojekts“ an, um sie mit der Militärgeschichte nach 1945 zu verknüpfen. Im Kern geht es um einen diachronen Vergleich zwischen fünf Konflikten des 20. Jahrhunderts. Dabei bildet der deutsch-sowjetische Partisanenkrieg der Jahre 1941 bis 1944 den Ausgangspunkt, während die aktuellen Konflikte, die seit 2001, bzw. 2003 andauernden Kriege in Afghanistan und im Irak, den Endpunkt setzen. Drei weitere Stationen bilden der Malayan Emergency (1948-1960), der Algerienkrieg (1954-1962) und der zweite Vietnamkrieg (1965-1975). Obwohl es sich bei diesen fünf Kriegen um sehr unterschiedliche Auseinandersetzungen handelt, besitzen sie auch Gemeinsamkeiten. Hier handelt es sich um militärische Auseinandersetzungen, in denen die damaligen Großmächte unter jeweils unterschiedlichen Vorzeichen und auch mit jeweils sehr unterschiedlichen Ergebnissen versuchten, eine indigene Aufstandsbewegung zu bekämpfen. Gleichzeitig lassen sich in allen fünf Konflikten Phänomene erkennen, die immer wieder als Kennzeichen der aktuellen Auseinandersetzungen beschrieben wurden: Asymmetrie, Entstaatlichung und damit einher gehend neue ideologische, politische und soziale Frontstellungen. Als aktueller Gegenentwurf zu diesen Frontstellungen wird der Begriff Counterinsurgency, abgekürzt COIN, in der westlichen Welt momentan intensiv diskutiert. Spätestens seit Dezember 2006, als General David H. Petraeus dieses militärpolitische Konzept als zentrale Dienstvorschrift  offiziell in Kraft setzte, gilt COIN als eine der wichtigsten Sicherheitsdoktrinen der US-Army.

Anspruch und Bedeutung von COIN wecken natürlich sofort das Interesse des Historikers. Denn die Insurrektion, also der bewaffnete Aufstand meist Irregulärer gegen eine politische oder militärische Autorität, in Sonderheit: eine Besatzungsmacht, ist – wie bereits diese Auflistung vorführt – nicht gerade ein neues historisches Phänomen. Und entsprechend groß war und ist die Zahl der Überlegungen, wie denn ein Krieg gegen einen solchen Gegner zu führen und vor allem auf Dauer zu gewinnen sei. Das begann nicht erst im Zweiten Weltkrieg. Da aber dieser Krieg nach wie vor den großen militärischen Erfahrungshintergrund unserer Zeit bildet, liegt es nahe, ihn zum chronologischen Ausgangspunkt eines Folgeprojekts zu machen. Schon hier ließe sich dann erkennen, dass viele Phänomen unserer militärischen Gegenwart letzten Endes nicht den Neuigkeitswert besitzen, der ihnen gerne bescheinigt wird.

Welche Lehren aber könnten – um zu unserer Ausgangsfrage zurückzukehren – die militärischen Erfahrungen des 20. Jahrhundert bieten? Um diese Frage möglichst umfassend zu diskutieren, will sich dieses komparatistisch angelegte Projekt, das Christian Hartmann leitet, auf die militärpolitischen Konzepte konzentrieren, die für das Handeln dieser fünf Besatzungsmächte maßgeblich waren. Durch einen diachronen Vergleich würden die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten dieser verschiedenen Konzepte sehr viel deutlicher, möglicherweise auch ihre Interdependenzen und ihre Genese, die häufig erst während des betreffenden Konflikts erfolgte. Viel relevanter erschiene freilich die Frage, ob und wie weit sich diese Theorien als erfolgreich erwiesen oder nicht. Schon deshalb wäre ein vergleichende Analyse ohne eine entsprechende Berücksichtigung der Praxis, also des jeweiligen politisch-militärische Kontexts, und erst recht der Folgen, die sich aus diesen militärischen Konzepten ergaben, nicht nur unvollständig, sie wäre schlichtweg falsch.

Trotzdem ist – schon allein aus arbeitsökonomischen Überlegungen – eine Diskussion dieser Theorien das eigentliche Thema dieser Untersuchung und nicht eine vergleichende Geschichte des Partisanenkriegs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit seinem komparatistischen und international ausgerichteten Ansatz passt dieses Projekt gut ins Forschungsprofil des Instituts für Zeitgeschichte. Viel wichtiger aber erscheint ein anderer Aspekt: Dieses Projekt versucht sehr bewusst über die heißen Konflikte des Kalten Krieges eine Brücke zwischen Zweiten Weltkrieg und Gegenwart, zwischen älterer und neuerer Zeitgeschichte, zu schlagen, und unterstreicht damit noch einmal sehr bewusst, dass sein Erkenntnisinteresse mehr ist als nur ein historiographisches.




© Institut für Zeitgeschichte
Content