Das Judasfeuer. Geschichte und Gegenwart eines antisemitischen Osterbrauchs im deutschsprachigen Raum

Vortrag von Andreas Rentz im Kolloquium des Zentrum für Holocaust-Studien

In der polnischen Kleinstadt Pruchnik schleiften Menschen an Karfreitag 2019 eine Strohpuppe durch die Straßen, hängten sie an einen Mast, schlugen, köpften und zündeten sie an. Die Puppe war mit Hakennase und orthodox-jüdischer Kopfbedeckung und Haartracht entsprechend stereotypisch antisemitischer Vorstellungen gestaltet und trug die Bezeichnung „Judas 2019“. Der Brauch dient der symbolisch-rituellen „Bestrafung“ der biblischen Figur Judas Iskariot für seinen Verrat an Jesus Christus. Der Vorfall in Pruchnik sorgte für internationales Aufsehen: Der World Jewish Congress (WJC) übte Kritik und auch die katholische Kirche distanzierte sich davon.

Ähnliche Bräuche existieren auch heute noch in Deutschland, wie Studien der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern und der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit, Beratung bei Rassismus und Antisemitismus (SABRA) NRW ergeben haben. In vielen Orten Oberbayerns, Westfalens und Unterfranken war es auch im 21. Jahrhundert noch üblich, an den Kar- oder Ostertagen eine Judaspuppe auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Wie in Pruchnik ging und geht es auch hier um eine symbolische Hinrichtung des Verräter-Apostels. Eine systematische wissenschaftliche Untersuchung der historischen Entstehung und Entwicklung dieses Brauchs ist bis heute nicht vorhanden. Diesem Desiderat widmet sich das am Zentrum für Holocaust-Studien angesiedelte und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Das Judasfeuer“.

Der Vortrag widmet sich neben der Frage nach dem antisemitischen Charakter des Brauchs und der Judasfigur insbesondere seiner historischen Entstehung und Entwicklung. Die ältesten Belege stammen aus dem 16. Jahrhundert. Der häufig postulierte Ursprung in germanischen Frühlingsfeuern entbehrt jeder Quellengrundlage und ist entschieden zurückzuweisen: Der Brauch ist eindeutig christlich. In manchen Gegenden etablierte sich die Bezeichnung als Synonym für die liturgische Feuerweihe. In Oberbayern entstand der von christlichen Laien getragene Brauch, eine Judasfigur auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen, was 1749 verboten wurde. Seit dem späten 19. Jahrhundert feierte diese Form des Judasfeuers ein Revival, das im Kontext des katholischen Antisemitismus zu verorten ist. Weder Krieg noch Shoa stellten eine Zäsur für den Brauch dar, der sich bis heute erhalten konnte.

Die Präsenzveranstaltung ist eine Kooperation mit dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte.

ORT
Ludwig-Maximilians-Universität München
Historicum, Raum K 201
Amalienstraße 52
80799 München

ANMELDUNG
Eine Anmeldung ist bis zum 16.06.2025 per Email erforderlich: zfhs[at]ifz-muenchen.de



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