Fünf Fragen an…

Im  Zentrum der deutschen Außenpolitik 1992 standen neben der Frage nach der Rolle der Bundesrepublik im veränderten internationalen Umfeld die Kriege im zerfallenden Jugoslawien, die Folgen der Auflösung der UdSSR, die Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas und deren Kooperation mit EG und NATO sowie das Vertragswerk von Maastricht und die GATT-Verhandlungen. Mit dem Rücktritt Genschers endete eine Ära der deutschen Außenpolitik. Daniela Taschler hat dieses Jahr der Umbrüche mit Tim Geiger und Tim Szatkowski für die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik (AAPD) ediert.

In unserem Format „Fünf Fragen an...“ skizziert die IfZ-Historikerin die Herausforderungen, die das Jahr 1992 für die deutsche Außenpolitik mit sich brachte und gewährt Einblicke in die Arbeit einer Quellen-Editorin, die oft die Qual der Wahl hat.

1. Eine wesentliche Zäsur des Jahres 1992 ist der Abschied von Hans-Dietrich Genscher als dienstältester demokratischer Außenminister der Welt. Ihm folgte Klaus Kinkel. Inwieweit lässt sich diese personelle Veränderung an der Spitze des Auswärtigen Amtes in den ausgewählten Dokumenten nachvollziehen?

Von vielen ausländischen Gesprächspartnern wird der Wechsel natürlich kommentiert. Dabei lässt sich Genschers internationales Ansehen sehr gut ablesen. Gerade in der europäischen Umbruchsituation der frühen 1990er Jahre wird Besorgnis geäußert, dass sein Verhandlungsgeschick, seine Kompetenz und seine staatsmännische Erfahrung fehlen werden. Kinkel bemüht sich dementsprechend, in seinen ersten Begegnungen die Kontinuität zur Politik seines Vorgängers und die außenpolitische Verlässlichkeit der Bundesrepublik zu betonen, setzt jedoch auch eigene Akzente, etwa im Bereich der Menschenrechte oder bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen im auseinanderfallenden Jugoslawien.

2. Im Frühjahr 1992 begann mit dem Bosnienkrieg eines der blutigsten Kapitel der jugoslawischen Nachfolgekriege. Gibt es in diesem Kontext einen Moment innerhalb der deutschen Diplomatiegeschichte des Jahres 1992, der im Nachhinein als besonders relevant einzuordnen ist?

Es gibt vermutlich nicht den einen Moment, aber man kann sagen, dass die Belagerung von Sarajevo, der Völkermord, die Berichte über Lager und Massenvergewaltigungen sicherlich die Diskussion um den Auslandseinsatz der Bundeswehr, die ja schon länger lief, noch einmal stark beschleunigt und intensiviert haben. Angesichts der grauenhaften Bilder, die täglich in deutschen Wohnzimmern über die Fernseher liefen, konnte es sich die Bundesrepublik auf Dauer nicht mehr leisten, energisch die Verbündeten zum Handeln aufzufordern, aber selbst mit Blick auf die deutsche Geschichte und das Grundgesetz zu sagen, wir können leider nicht mitmachen. Insofern löste auch dieser Krieg in Europa eine Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik aus weg von einer, wenn man es überspitzt formulieren will, „Scheckbuchdiplomatie“ hin zu einer stärkeren politischen und militärischen Verantwortung der Bundesrepublik in der Welt.

3. Fast drei Jahre nach der Wiedervereinigung wird Deutschland im Jahr 1992 zunehmend zu einem „Global Player. Dies betrifft auch die transnationalen Beziehungen und damit einhergehend neue Funktionen sowie Verantwortung innerhalb der NATO. Welche Veränderungen waren in dieser Hinsicht besonders einschneidend oder herausfordernd für Deutschland?

Die Bundesrepublik spielte eine führende Rolle bei der Gründung des Nordatlantischen Kooperationsrats, der die Beziehungen zu den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten vertiefen sollte, von diesen aber letztlich nur als Zwischenstation zu einer vollen NATO-Mitgliedschaft angesehen wurde. Dafür erhofften sie sich natürlich Unterstützung durch die Bundesrepublik, die jedoch wie andere Bündnispartner einer Erweiterung zu diesem Zeitpunkt noch zurückhaltend gegenüberstand, schon allein, um keine neuen sicherheitspolitischen Gräben in Europa aufzureißen zu Staaten wie Russland oder der Ukraine, deren Mitgliedschaft als nicht vorstellbar angesehen wurde. Problematisch war auch, dass die Hauptverbündeten Frankreich und die USA durchaus unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft der Allianz und die europäische Sicherheitsarchitektur hatten, was die Bundesrepublik in die prekäre Lage brachte, zwischen diesen Positionen vermitteln zu müssen.

4. Als Historikerin setzen Sie sich fast täglich mit den unterschiedlichsten Quellen bzw. Dokumenten auseinander. Welches Dokument des Jahres 1992 war besonders spannend und aufschlussreich für Sie?

Diese Frage ist natürlich sehr schwer zu beantworten, schließlich sind alle unsere Dokumente spannend! Über einiges kann man auch schmunzeln, anderes macht nachdenklich oder betroffen. Faszinierend finde ich, welchen Weitblick die Dokumente teilweise offenbaren. Gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine heute finden sich 1992 schon viele Warnungen vor gravierenden russisch-ukrainischen Gegensätzen, z.B. in der Krim-Frage, und vor russischem Nationalismus. So warnte sogar der russische Außenminister Kosyrew selbst im Dezember 1992 vor Kräften in seinem Land, die das Gebiet der ehemaligen UdSSR als „post-imperialen“ Raum ansähen, in dem Russland seine Interessen mit allen Mitteln verteidigen werde. Auch wenn man liest, was schon 1992 zu Themen wie Klimawandel, Migration, Terrorismus und Islamismus geschrieben und gesagt wurde, wird klar, dass die Dinge, die uns heute bewegen, natürlich nicht vom Himmel gefallen sind, sondern sich schon über viele Jahre und Jahrzehnte angekündigt haben.

5. Ganz grundsätzlich zur Arbeit an den Akten zur Auswärtigen Politik: Gibt es etwas, das Sie bei der Auswertung und Kommentierung der einzelnen ausgewählten Akten besonders beachten müssen?

Wir bemühen uns natürlich immer, die gesamte Bandbreite der deutschen Außenpolitik abzudecken, können aber aufgrund der immer größeren Themenvielfalt manche Dinge nur sehr punktuell berücksichtigen. Das erfordert dann eine besondere Sorgfalt bei der Kommentierung, damit ein Sachverhalt nicht zu verkürzt oder „schief“ dargestellt wird. Die Kunst besteht darin, den Kontext korrekt abzubilden und gleichzeitig das Interesse an einem Thema zu wecken und die Leserinnen und Leser zu eigenen, vertiefenden Archivstudien anzuregen.

Daniela Taschler, Tim Geiger und Tim Szatkowski (Bearbeiter)

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1992

Berlin 2023



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