Die Hüter der Ordnung

Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus

Seit Dezember 2014 untersuchte das Institut für Zeitgeschichte München - Berlin gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) unter Leitung der beiden Direktoren Andreas Wirsching und Frank Bösch im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) die personellen und sachlichen Nachwirkungen der NS-Diktatur und seiner Ministerialbürokratie auf das BMI und das Ministerium des Innern der DDR (MdI). In beiden deutschen Staaten – der alten Bundesrepublik und der DDR – repräsentierten die Innenministerien Schlüsselbereiche von Politik und Verwaltung. Eine vertiefte Untersuchung gerade des Innenressorts auf Kontinuitäten beziehungsweise Brüche in Bezug auf den Nationalsozialismus ist deshalb aus Sicht der Forschung ein ausgesprochen lohnenswertes Unterfangen. Erstmalig unter allen bisher durchgeführten Studien zur NS-Geschichte von Ministerien und Behörden nimmt dieses Forschungsprojekt gleichermaßen die Entwicklung eines westdeutschen und eines ostdeutschen Ministeriums zwischen 1949 und 1970 in den Blick. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden am 19. Juni 2018 unter dem Titel „Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus“ veröffentlicht.

Mehrheit der BMI-Mitarbeiter aus der Bürokratie des Nationalsozialismus

Demnach stammten zwar nur ein Zehntel der Beamten des BMI aus dem Reichsinnenministerium, jedoch die Mehrheit aus der Bürokratie des Nationalsozialismus. Meist waren dies Juristen aus der kommunalen Verwaltung, deren Berufseinstieg während der NS-Diktatur erfolgte. Während Belastete anfangs eher untergeordnete Posten erhielten, waren um 1960 zwei Drittel der leitenden Mitarbeiter (ab Referatsleiter) ehemalige NSDAP-Mitglieder und fast die Hälfte vormals Angehörige der SA.


Die Bewerber mussten zwar über ihren Lebenslauf Rechenschaft ablegen, doch die Angaben wurden kaum überprüft. Nicht wenige Beamte vermochten daher wesentliche Teile ihrer NS-Vergangenheit zu verschweigen. Sie passten sich der neuen demokratischen Ordnung an, aber oftmals bestanden etatistisch-autoritäre, nationalistische und stark antikommunistische Denkmuster fort, was sich in ihrer politischen Arbeit niederschlug. Die Forschergruppe weist in vielen Bereichen nach, wie Gesetzesentwürfe aus dem Apparat des Bundesinnenministeriums an öffentlichen Protesten und dem Veto anderer politischer Gremien und Akteure scheiterten – wie etwa die Planungen zum Notstand, zum Presserecht oder zur Verfassung eines vereinigten Deutschlands. Gegenüber jüdischen Minderheiten wählten die belasteten Mitarbeiter ebenfalls oft eine harte Linie, die einen Fortbestand älterer, zum Teil bereits vor 1933 üblicher Denkmuster zeigt. Auch in diesen Fällen entstand ein öffentlicher Unmut, der demokratische Lern- und Anpassungsprozesse in der Verwaltung förderte.

Alt-Kommunisten und junge Kader im Ministerium des Innern der DDR

Während das Bundesinnenministerium am traditionellen Beamtentum festhielt, erfolgte im Ost-Berliner Ministerium des Innern ein kompletter Umbau, um den Einfluss der SED zu stärken. Im Osten übernahmen Alt-Kommunisten und unbelastete junge Kader die Leitungsposten. Mitte der 1950er-Jahre waren dennoch rund ein Zehntel der leitenden Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder. Trotz des meist administrativ unerfahrenen Personals gelang es rasch, eine Polizeiverwaltung und Bürokratie aufzubauen, die die Machtstellung der SED sicherte. In spezifischen nicht-polizeilichen Bereichen stütze sich das Ministerium auch auf Experten, die bereits im Nationalsozialismus Karriere gemacht hatten. So waren beispielsweise im Archivwesen knapp ein Drittel der leitenden Mitarbeiter ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Im Nachhinein wirken die Folgen des unterschiedlichen Umgangs mit der Vergangenheit paradox: Die Bundesrepublik schuf mit dem belasteten Personal aus dem Nationalsozialismus eine Demokratie, die DDR dagegen mit neuem unbelasteten Personal eine Diktatur. Dass beide Neuanfänge im Sinne der jeweiligen Systemlogik gelangen, spricht letztlich für die große Anpassungsfähigkeit der Ministerialbürokratie.

Ausführliche Ergebnisse der Studie zum Download [pdf-Datei]

Der circa 830-seitige bebilderte Band mit dem Titel „Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus“ ist im Wallstein-Verlag erschienen.
Neben den Projektleitern besteht die Forschungsgruppe aus sechs Postdoktoranden und zwei Doktorandinnen. Ein wissenschaftlicher Beirat, der im Oktober 2015 einberufen wurde, stand der Forschungsgruppe mit seiner fachlichen Expertise zur Seite. Dazu begleitete eine Steuerungsgruppe das Projekt, die sich aus Wissenschaftlern beider Institute zusammensetzte.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt finden Sie auf der Webseite der Forschungsgruppe www.geschichte-innenministerien.de.

 

Weitere Projekte

 

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ)
Dr. Frieder Günther, Dr. Lutz Maeke, Dr. Maren Richter, Irina Stange M.A., Johanna Mattern B.A.

 

Weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF):

  • Dr. Franziska Kuschel: Die Verwaltung der Sicherheit. Das Ministerium des Innern der DDR
  • Stefanie Palm: Das Bundesinnenministerium und die Politik der Mediensteuerung nach dem Nationalsozialismus
  • Dr. Dominik Rigoll: Innere Sicherheit in Deutschland. Der lange Weg zur „streitbaren Demokratie“
  • Martin Diebel: Sicherheit im Ausnahmezustand. Das Bundesinnenministerium im Konflikt um die Notstandsgesetzgebung 1949-1968


Steuerungsgruppe des IfZ:

  • Prof. Dr. Magnus Brechtken
  • Prof. Dr. Dierk Hoffmann
  • Prof. Dr. Johannes Hürter
  • Prof. Dr. Michael Schwartz
  • Prof. Dr. Hermann Wentker

Bildnachweis:

Sliderbild und Seitenbanner: "Einrichtung der Arbeitsräume für das Ministerium des Innern", Bundesarchiv, Bild 183-S95772 / Fotograf: Rudolph

 



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