INFOCOM am Historikertag 2023

Auf dem Historikertag 2023 in Leipzig war auch das INFOCOM-Team präsent. In einer von Caroline Mezger (IfZ) und Sebastian Jobs (FU Berlin) geleiteten Sektion wurden aus interdisziplinärer Perspektive „Gerüchte als historische Ereignisse in Europa und Nordamerika“ im 19. und 20. Jahrhundert untersucht. Die Vortragenden — Felix Berge (Universität der Bundeswehr München), Katrin Horn (Universität Bayreuth) und Olaf Stieglitz (Universität Leipzig) — untersuchten anhand ihrer eigenen Forschung folgende Fragestellung:

Gerüchte genießen klassischerweise einen schlechten Ruf: als fantasievolle Ausschmückungen von Geschichten oder als kollektive Spekulationen in Zeiten unklarer Informationslagen scheinen sie lediglich von objektiven Fakten abzulenken oder eine konstruktive Auseinandersetzung mit Geschichte zu verhindern. Für Historikerinnen und Historiker bieten sie jedoch die Möglichkeit, besser zu verstehen wie historische Akteurinnen und Akteure, gerade in Krisensituationen und kommunikativen Ausnahmezuständen, versuchten ihrer Umwelt Sinn zu verleihen und dabei Handlungsmacht gewannen. Die Rolle von Gerüchten, Falschmeldungen und unsicherem Wissen geht dabei jedoch über rein funktionale „Notlösungen“ hinaus: sie dienten zur Ablenkung und Unterhaltung, sie konnten strategisch oder taktisch zur politischen Einflussnahme eingesetzt werden, in ihnen lassen sich Werte und Ängste historischer Akteurinnen und Akteure analysieren, sie waren Imaginationen von Zukunft, Hoffnung und Ängsten und wirkten sozial ein- wie ausgrenzend. Mit diesen emotiven und sozial konstruktiven Qualitäten gehen Gerüchte selbst über die reine Kommunikation historischer Umstände oder Ereignisse hinaus – sie werden selbst zu Ereignissen, die perfomativ Handlungsräume eröffneten.

Die Sektion untersuchte daher in regional vergleichender und epochal übergreifender Perspektive die Bedeutung von Gerüchten als Kräfte historischen Wandels. Inwiefern widerspiegelten Gerüchte ein eigenes Ringen um Sinnstiftung in empirisch unsicheren Situationen? Was sagen uns Gerüchte über die sozialen Realitäten und kulturellen Bilder vergangener Gesellschaften? Konnten Gerüchte, als Selbstermächtigung, auch Wahrheiten schaffen?

Näheres über die Sektion finden Sie unter: https://www.historikertag.de/Leipzig2023/programm/sektionen/unsicherheit-und-handlungsmacht-geruechte-als-historische-ereignisse-in-europa-und-nordamerika/

Das Panel wurde u.a. von der Welt porträtiert und die Forschung von Felix Berge (ehemaliges INFOCOM-Mitglied) namentlich erwähnt: https://www.welt.de/geschichte/article247608838/Historikertag-in-Leipzig-Das-Geruecht-vom-SS-Offizier-der-eine-Muenchnerin-im-Cafe-erschoss.html#Comments



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