Allgemeine SS und ihre Mitglieder

Der Fall Horst Tappert ist nur das jüngste Beispiel: Immer wieder gerieten in der Geschichte der Bundesrepublik bekannte Persönlichkeiten wegen ihrer lange Jahrzehnte verschwiegenen SS-Vergangenheit in die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion. Als „rassische“ Elite sollte die Schutzstaffel, der „Schwarze Orden“ der NSDAP, im Nationalsozialismus für die menschenzüchterische „Aufnordung“ des deutschen Volkes sorgen. Die sogenannte „Allgemeine SS“ hatte 1939 etwa 200.000 Mitglieder. Als NS-Verband waren sie bislang nur spärlich erforscht: Wer waren diese Männer? Wie kamen sie in die Schutzstaffel und was taten sie dort? Eine Buchpräsentation und Diskussionsrunde am Institut für Zeitgeschichte widmete sich diesen und weiteren Fragen zur Geschichte der SS.

 

Der Historiker Bastian Hein beantwortet in seinem Buch „Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945“ grundlegende Fragen über diese selbsternannte rassistische Auswahlorganisation. Die Ergebnisse seiner Studie stellte er im Institut für Zeitgeschichte vor. Heins soziostrukturelle Analyse zeichnet ein Bild der Allgemeinen SS als Organisation aus der Mitte der Gesellschaft: Auch wenn Akademiker überproportional vertreten waren, war der Anteil der Facharbeiter, Handwerker und anderer mittlerer und niedriger Gesellschaftsschichten – vor allem gemessen an anderen NS-Organisationen – bemerkenswert. Das propagierte Ziel der Organisation, als „Zuchtstätte für den Arier“ zu dienen, wurde vollkommen verfehlt, so Hein: Trotz des berüchtigten „Heiratsbefehls“ blieben nahezu 60 Prozent der Mitglieder bis 1938 kinderlos. Die Musterung nach „ärztlich-rassischen“ Gesichtspunkten wurde, insbesondere infolge eines Rekrutierungsproblems seit Mitte der 1930er Jahre, ohnehin lockerer gehandhabt, als es die offiziellen NS-Verlautbarungen weismachen wollten. Auch die hochgelobte Disziplin der Mitglieder war mehr Schein als Sein: Immer wieder offenbaren die Quellen Fälle von Alkoholexzessen, Schlägereien und eigenmächtigen Aktionen. Hein kommt daher zu dem Schluss, dass das Bild der SS als „Elite-Truppe“ mehr der Selbstdarstellung und Eigenwahrnehmung als der Realität im nationalsozialistischen Staat nahekommt.

 

Mit Dietmar Süß, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg, der die Vorstellung der Studie kommentierte, diskutierte der Autor unter der Moderation von Magnus Brechtken, dem Stellvertretenden Direktor des Instituts für Zeitgeschichte. Im Mittelpunkt des Interesses stand hierbei die Deutung von Heins Sozialstrukturanalyse: Handelte es sich wirklich um eine „catch all“-Organisation oder zeugt die trotz allem klare Überrepräsentation von jungen männlichen Protestanten aus der oberen Mittelschicht nicht doch von einer eindeutigen Klientelpolitik der SS? Inwieweit kann ein spezifisches „Männlichkeitskonzept“ der Schutzstaffel Aufschluss über die Anreize für junge Männer geben, zu Beginn der 1930er Jahre in diese Organisation einzutreten?

 

In der Diskussion mit dem Publikum kam die viel debattierte Frage nach „Zwangsrekrutierungen“ auf. Hein betonte, dass man im Verlauf des Krieges durchaus zunehmend Abstand vom Freiwilligkeitsideal der SS nahm und etwa ungefragt Musterungsbescheide verschickt wurden. Zu Fällen des offenen Zwangs in Form von Einberufungsbescheiden in die Waffen-SS anstelle der Wehrmacht sei es jedoch erst in den letzten beiden Kriegsjahren gekommen – daher müsse in jedem Einzelfall genau nachgeprüft werden, ob es sich bei einer nach 1945 vorgegebenen „Zwangsrekrutierung“ lediglich um eine Schutzbehauptung handle oder nicht. Die rudimentäre Überlieferung mache eine Bewertung hier nicht immer einfach. Die „Gretchenfrage“ – Was bewegte die jungen Männer, in den „Schwarzen Orden“ einzutreten: Ideologie oder Opportunismus? – entzieht sich laut Hein einer eindeutigen Antwort. Er verwies vor allem auf den Mangel an Ego-Dokumenten aus dieser Zeit und stellte fest: „Es sind Männer gewesen, die sich für eine Elite halten. Das eint und macht funktionsfähig. Letztlich aber kann ich in ihre Köpfe nicht hineinschauen.“

 

Das Buch „Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945“ von Bastian Hein kann <link http: www.oldenbourg-verlag.de wissenschaftsverlag elite-volk-und-fuehrer _blank external-link-new-window external link in new>Opens external link in new windowHIER bestellt werden.



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