Die KSZE im Ost-West-Konflikt

Mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) 1975 in Helsinki wurde ein diplomatischer Konferenzprozess in Gang gesetzt, der den nun einsetzenden weltpolitischen Klimasturz überdauerte. Die Teilnehmerstaaten verfügten damit über ein Instrument zur Krisenbewältigung. Gleichzeitig konnten sich die Menschen in Osteuropa zur Einforderung von Menschenrechten auf die Schlussakte berufen. Was bedeutete das im Hinblick auf den Zusammenbruch der sowjetischen Vorherrschaft über den Ostblock und das Ende des Kalten Krieges? Hatte der KSZE-Prozess eine nachhaltige Wirkung, die man als „Helsinki-Effekt“ bezeichnen kann? Oder sind diese Effekte zu vernachlässigen, so dass man von einem „Helsinki-Mythos“ sprechen muss?


Diesen Fragen widmete sich am 24. April 2013 eine Podiumsveranstaltung anlässlich des Erscheinens des von Matthias Peter und Hermann Wentker herausgegebenen Bandes zur KSZE im Ost-West-Konflikt. Unter der Leitung von Magnus Brechtken diskutierten Wilfried von Bredow (Marburg), Manfred Hildermeier (Göttingen), Wanda Jarzabek (Warschau), Matthias Peter (Berlin ) und Hermann Wentker (Berlin).


In seiner Buchvorstellung konstatierte Wilfried von Bredow, dass das akademische Interesse an der KSZE und ihrer blockübergreifenden Rolle im Ost-West-Konflikt zugenommen habe. Habe die zeitgenössische Auseinandersetzung, einschließlich der politikwissenschaftlichen Analysen, die Dynamik des KSZE-Prozesses noch unterschätzt, so könnten deren Befunde nun im Lichte neuer Quellen und Fragen „von innen heraus überprüft, ergänzt, verdichtet und erweitert“ werden. Wie die insgesamt 18 Beiträge des Bandes eindrucksvoll belegten, habe die Ost-West-Entspannung keineswegs einem „Zweiten Kalten Krieg“ weichen müssen. Es sei spannend zu beobachten, welche unterschiedlichen Akzente die Dynamik in den einzelnen Teilnehmerländern aufgewiesen habe. Das große Interesse an einer Fortsetzung des KSZE-Prozesses habe dazu beigetragen, so von Bredow, dass das Ende des Ost-West-Konflikts überwiegend friedlich erfolgte.


Manfred Hildermeier wies darauf hin, dass vor allem das Interesse am Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zum Westen Moskau und seine Verbündeten gezwungen hätten, an der KSZE festzuhalten. Vor allem aber habe die Schlussakte von Helsinki zu einer Delegitimierung der kommunistischen Herrschaft beigetragen, die sich allmählich zu einem Massenphänomen in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas entwickelt habe. Schließlich legte die KSZE die wachsenden Interessengegensätze innerhalb des Warschauer Pakts offen, so dass etwa die DDR mehrfach  gegen ihren Willen Moskauer Vorgaben folgen musste.


Auch Wanda Jarząbek betonte die großen wirtschaftlichen Probleme vor allem Polens, das sich etwa während der Madrider Folgekonferenz in wichtigen Umschuldungsverhandlungen mit westlichen Gläubigerländern befand, was nicht ohne Auswirkungen auf seine Stellung als KSZE-Teilnehmerland bleiben konnte.


Matthias Peter griff von Bredows Hinweis auf die Dynamik des KSZE-Prozesses auf. Im Kern ein Instrument der Diplomatie, sei dieser zu einem umfassenden System an Folgetreffen gewachsen. Diese Dynamik habe in besonderem Maße der außenpolitischen Staatsräson der Bundesrepublik als Friedensmacht entsprochen. Mit ihrer Stabilisierungspolitik wollte sie die teilungsbedingten Härten insbesondere für die Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs lindern und schließlich auf eine allmähliche Öffnung der Gesellschaften in Ostmittel- und Osteuropa hinarbeiten. Wie wenige andere billigte sie der KSZE deshalb einen Eigenwert als ostpolitisches Instrument zu, das es ungeachtet der Spannungen im Ost-West-Verhältnis flexibel zu nutzen galt.


Hermann Wentker bemerkte schließlich, dass das Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte unter Beweis gestellt habe, dass die historische Forschung die zeitnahen politologischen Analysen nicht nur bestätigen, sondern in zentralen Bereichen ergänzen und korrigieren könne. So sei etwa von Anja Hanisch nachgewiesen worden, dass die KSZE-Politik der DDR sowohl von Genugtuung über die erreichte Anerkennung als auch von Furcht vor den ihr nicht zuletzt von Moskau aufgezwungenen Risiken einer Öffnung zum Westen bestimmt worden sei. In diesem Sinne ließen sich auch neue Befunde zur Rolle der Neutralen und zur Interaktion westlicher und östlicher Menschenrechtsgruppen formulieren.


Am Ende konstatierten die Experten übereinstimmend, dass das Forschungsfeld der KSZE noch keineswegs ausgeschöpft ist. Vielmehr müssten in Zukunft weitere Arbeiten hinsichtlich der Wechselwirkung von Diplomatie- und Wirkungsgeschichte in den 1980er Jahren, aber etwa auch zum Modellcharakter der Schlussakte von Helsinki für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen in Angriff genommen werden.


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