Kriegsverbrecher-Prozess um John Demjanjuk

Hunderte von Journalisten verfolgten 2009 den Prozessauftakt gegen John Demjanjuk: Er hatte dem späteren Gerichtsurteil zufolge als Angehöriger der „Trawniki“, also als Handlanger der SS, im Vernichtungslager Sobibór beim Mord an 28 000 Juden geholfen. Mit der Verurteilung zu fünf Jahren Haft wurde in Deutschland auch ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben: Ein individueller Tatnachweis sei nicht erforderlich, wenn man – selbst am unteren Ende der Befehlskette – in einem Vernichtungslager agierte, argumentierten die Richter. In einer Buchpräsentation und Diskussionsrunde zeigte das Institut für Zeitgeschichte am Fall Demjanjuk auf, welch unterschiedliche Schuldbegriffe den Bereichen Justiz, Geschichtswissenschaft und der Medienberichterstattung zugrunde liegen.

 

Der Historiker und Journalist Rainer Volk hat den Prozess von Beginn an verfolgt. In seinem Buch „Das letzte Urteil. Die Medien und der Demjanjuk-Prozess“, das in der IfZ-Reihe „Zeitgeschichte im Gespräch“ erschienen ist, analysiert er die Berichterstattung über einen Fall, der für Zeithistoriker wie Juristen viele Fragen aufwarf. Der „letzte große NS-Prozess“ war aus Mediensicht ein Weltereignis. Doch das Interesse verebbte rasch wieder, denn die Sitzungen verliefen zäh und unspektakulär – nicht zuletzt weil der Angeklagte bis zur letzten Minute schwieg.

 

Eine Expertenrunde mit Gisela Friedrichsen (Gerichtsreporterin, Der Spiegel), Lukas Hammerstein (Freier Autor und Jurist) und Andrea Löw (Institut für Zeitgeschichte) diskutierte unter der Moderation von Thomas Schlemmer mit dem Autor über die Zusammenhänge der Bereiche Justiz, Medien und Wissenschaft im Fall Demjanjuk. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei die Bewertung des Schuldspruchs der Richter aus juristischer, wissenschaftlicher, aber auch persönlicher Perspektive der Diskutanten: Hätte der ehemalige Kriegsgefangene Demjanjuk aus dem Lager fliehen können, um sich der Beteiligung an den Greueltaten zu entziehen? Haben die Medien den Angeklagten als „Kleinsten der Kleinen“ in der SS-Befehlskette zu Unrecht als „Monster“ und „NS-Schergen“ dargestellt? Und: Hätte das „kreative“ Urteil der Richter in einem Revisionsprozess nach formal-juristischen Kriterien bestehen können?

 

„Es gibt eine Schuld, die man nicht mit juristischen Mitteln abarbeiten kann“, schloss Rainer Volk die Diskussion mit Verweis auf eine Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck, der diesen Gedanken im Zusammenhang mit dem Massaker von Sant’Anna di Stazzema jüngst formuliert hatte. In diesem Punkt waren sich alle Teilnehmer einig. Und auch darin: Für die Nebenkläger, meist Angehörige der Opfer von Sobibór, war es wichtig, dass ihre Geschichte vor einem deutschen Gericht Gehör fand.

 

Das Buch „Das letzte Urteil. Die Medien und der Demjanjuk-Prozess“ von Rainer Volk kann <link http: www.oldenbourg-verlag.de wissenschaftsverlag letzte-urteil _blank external-link-new-window external link in new>Opens external link in new windowHIER bestellt werden.



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