Die „Energiewende“ – ein programmatisches Ideal, in dessen Mittelpunkt die wachsende Nutzung erneuerbarer Energien steht – hat eine lange Geschichte. Das Habilitationsprojekt befasst sich mit der Genese, Entwicklung und politischen Relevanz von Diskursen über Energie, Umwelt und Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland und im Vereinigten Königreich in den 1970er und 1980er Jahren. Gefragt wird, welche unterschiedlichen Diskurse durch welche gesellschaftlichen Akteure, kommunikativen Prozesse und Deutungsmuster produziert, strukturiert und tradiert wurden und welchen Einfluss sie auf energiepolitische Maßnahmen und dadurch auch auf die Ausformung des Energiesektors erlangten. Dabei stehen die Interaktionen von Vertretern aus sozialen Bewegungen, Wissenschaft, Wirtschaft und staatlicher Politik im Fokus. Methodisch strebt die Arbeit eine Verbindung aus Diskurs- und Politikgeschichte an und verfolgt einen vergleichenden Ansatz, der die nationalen Entwicklungen stets auch in transnationale bzw. globale Zusammenhänge einordnet.
Die Studie zeigt, dass sich unterschiedliche Diskurse auf jeweils nationalspezifische Weise zu politischen Handlungsansätzen verbanden. In der Bundesrepublik hatte ökologisches Denken dabei ein größeres Gewicht als im Vereinigten Königreich, wo ökonomische Perspektiven weitgehend dominierten. Mittelfristig gewann in der Bundesrepublik ein marktliberal und ökologisch geprägtes „Energiewende“-Leitbild an Einfluss, das die Nukleartechnologie aus ökologisch-ethischen Gründen ablehnte, allerdings den Einsatz von Kohle lange Zeit tolerierte. Die britische Energiepolitik schwenkte im Untersuchungszeitraum von einem staatswirtschaftlichen Denken um zur Dominanz radikal marktliberaler Diskurse, die erst gegen Ende der 1980er Jahre zögerlich begannen, ökologische Wertvorstellungen zu integrieren. Vor dem Hintergrund des zunehmend wahrgenommenen Klimawandels und des Niedergangs des britischen Kohlesektors hielt das Vereinigte Königreich an der Atomenergie fest. Die multikausalen Erklärungsfaktoren für diese Differenzen verweisen auf charakteristische strukturelle Unterschiede der politischen Systeme und Kulturen, die in der Arbeit detailliert analysiert werden.
Die Studie entstand am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin im Kontext des Verbundprojekts „Geschichte der Nachhaltigkeit(en)“ und wurde 2017 bis 2020 durch die Leibniz-Gemeinschaft und 2021/2022 durch die Bayerische Gleichstellungsförderung finanziert. Das Manuskript wurde Anfang Oktober 2022 an der Ludwig-Maximilians- Universität München als Habilitationsschrift eingereicht und soll 2024 publiziert werden.