Kleinstadtgesellschaft, Nationalsozialismus und NS-Organisationen: Mindelheim im NS- Regime

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IfZ):   Manuel Mork,  Dr. des. Manuela Rienks
Projektinhalt:

Welche Bedeutung hatte der Nationalsozialismus für die Geschichte der Stadt Mindelheim?
Wie erfuhren die Menschen, die zwischen 1933 und 1945 in Mindelheim lebten, die nationalsozialistische Herrschaft? Wer repräsentierte das NS-Regime, wer setzte nationalsozialistische Politik um? Wie präsent waren Rassismus, Gewalt und Hetze im Alltag? Und nicht zuletzt: Wie zeigte sich die nationalsozialistische Politik der Verfolgung und Vernichtung in der Kommune und in der Stadtgesellschaft, wer waren die Opfer der Verbrechen und welche Verantwortung trugen lokale Entscheidungsträger?

Diese und viele weitere Fragen werden seit einiger Zeit intensiv diskutiert. Sie können nur auf der Basis einer genauen Kenntnis der historischen Fakten beantwortet werden. Der Stadtrat von Mindelheim hat deshalb einstimmig beschlossen, das Institut für Zeitgeschichte München−Berlin (IfZ) damit zu beauftragen, die Geschichte des Nationalsozialismus in Mindelheim zu erforschen. Das Forschungsprojekt des IfZ versteht Mindelheim als Musterfall für eine kleine, ländlich geprägte katholische Stadt ohne nationalsozialistische Mehrheit vor 1933, die sich nach 1933 recht geräuschlos in das NS-Regime einfügte. Die Präsenz des Reichsnährstandes, der 1933/34 mit der „Bauernführerschule“ auf der Mindelburg eine seiner ideologischen Ausbildungsstätten einrichtete, gab der nationalsozialistischen Ideologie und der politischen Praxis des NS-Regimes einen gewichtigen Ort in der Stadt. Auch die Verwendung der Mindelburg durch die Hitler-Jugend (HJ) am Ende des Krieges ist zu erforschen.

Das Projekt nimmt Ausgang von der aktuellen stadtgeschichtlichen Forschung und richtet seinen Fokus vor allem auf drei Felder:
1. die Geschichte der Kommunalverwaltung
2. die Durchdringung der Stadtgesellschaft durch die NSDAP und ihre Organisationen sowie auf bürgerliche Vereine und Assoziationen, die sich der NS-Ideologie verschrieben
3. die Mindelburg und ihre Bedeutung in der Zeit des Nationalsozialismus

Sehr eindrücklich hat die Forschung vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten herausgearbeitet, wie tief sich die NS-Bewegung und das NS-Regime in die deutsche Gesellschaft eingegraben haben. Im Zentrum der NS-Ideologie stand die Neuordnung der deutschen Gesellschaft nach rassistischen, biologistischen und politischen Kriterien. Am Endeeines Prozesses der „Reinigung“, „Auslese“ und des „Ausmerzens“ sollte die „rassereine“nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ stehen, dazu ausersehen, als „Herrenvolk“ über Europa zu herrschen. Das nationalsozialistische Vorhaben entsprang einem totalitären Welt- und Herrschaftsverständnis, das den Anspruch hatte, alles und jeden zu erfassen. Die nationalsozialistische Gesellschaftspolitik mobilisierte einerseits die erwünschten Volksgenossinnen und Volksgenossen für das Regime und stattete sie mit Privilegien aus; andererseits verfolgte und ermordete es jene, die als „fremd“, „minderwertig“ oder „unwürdig“ klassifiziert wurden.

Die nationalsozialistische Neuordnung der Gesellschaft passierte zuallererst vor Ort, in den Städten und Gemeinden des Reichs – wie andernorts auch in Mindelheim. Das stellte die lokalen nationalsozialistischen Herrschaftsträger in der NSDAP, den Parteiorganisationen, in den Kommunal- und Staatsverwaltungen in eine besondere Verantwortung: Ihnen oblag die Realisierung der Volksgemeinschaftsutopie im überschaubaren Raum alltäglichen Lebens.
Das Projekt erforscht die Geschichte Mindelheims im Nationalsozialismus unter dem Blickwinkel der Volksgemeinschaftsforschung. Ein besonderes Augenmerk gilt denHandlungsspielräumen, die sich den Akteurinnen und Akteuren boten. Wie entschieden sich die einzelnen, wofür setzten sie sich ein, wofür nicht? Wie interagierten sie mit anderen nationalsozialistischen Herrschaftsträgern?

Der zeitliche Schwerpunkt des Projekts liegt auf den Jahren der NS-Herrschaft zwischen 1933 und 1945, führt aber die historischen Linien dann bis an die Jahrhundertwende, in den ErstenWeltkrieg und die Weimarer Republik zurück, wenn es für ein Verständnis der untersuchten Phänomene nötig ist. Zugleich werden die Nachkriegszeit und die ersten Jahre der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der Transformation in die demokratische Gesellschaftmitbehandelt. Wo sind Kontinuitäten über 1945 hinaus feststellbar, wo fand ein Neubeginn statt? Auf welchen Traditionen wurde die Demokratie in der Stadt errichtet?

Das Projekt startete im Januar 2024 und wird kooperativ von Manuela Rienks und Manuel Mork bearbeitet.

 




© Institut für Zeitgeschichte
Content