Fünf Fragen an...

...Dierk Hoffmann

Das IfZ hat in einem großangelegten Forschungsprojekt die Arbeit der Treuhandanstalt, einer ebenso zentralen wie umstrittenen Institution der Wendejahre, durchleuchtet. Erstmals konnten Historikerinnen und Historiker dafür etwa zwölf Kilometer Treuhandakten aus dem Bundesarchiv systematisch auswerten und viele andere neue Quellen erschließen. Die Ergebnisse dieser intensiven Forschungen werden nun in der Reihe „Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt“ im Verlag Ch. Links veröffentlicht, die ersten beiden Bände von Andreas Malycha und Max Trecker sind im April erschienen.

In unserem Interviewformat „Fünf Fragen an…“ gibt Dierk Hoffmann, Projektleiter und Mitherausgeber der neuen Reihe, Einblick in die Geschichte einer Behörde, die einen beispiellosen Transformationsprozess zu stemmen hatte.

1. Die Geschichte der Treuhandanstalt beginnt ja eigentlich schon in den letzten Monaten der DDR. Welche Idee steckt hinter der Gründung der Treuhandanstalt und wie müssen wir uns die Ausgangslage der DDR-Wirtschaft am Vorabend der Wiedervereinigung vorstellen?


Die Gründung der Treuhandanstalt geht auf Überlegungen aus der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung in der friedlichen Revolution zurück. Angesichts der Auflösung des SED-Regimes fragte sich etwa der Theologe Wolfgang Ullmann, was mit dem volkseigenen Vermögen passiert, wenn es keinen Staat mehr gibt. Daraus entstand die Idee, eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums zu gründen, um das Aufkommen von Oligarchen zu verhindern. Damit blieb aber die Frage nach der Zukunft der ostdeutschen Wirtschaft offen, die sich nach dem Mauerfall am 9. November 1989 immer drängender stellte, denn mit diesem Ereignis verlor Ost-Berlin das Außenhandels- und Devisenmonopol. Westliche Waren konnten weitgehend ungehindert in die noch bestehende DDR gelangen; die westdeutsche D-Mark entwickelte sich zur Leitwährung in Ostdeutschland. Das ursprüngliche Konstruktionsprinzip der Treuhandanstalt reichte für diese Herausforderungen nicht mehr aus.

2. Sie haben den ökonomischen Umbruch der frühen 1990er Jahre als „doppelte Transformation“ bezeichnet. Was meinen Sie damit?


Die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft von der Plan- zur Marktwirtschaft fand nicht im luftleeren Raum statt, sondern muss unter anderem vor dem Hintergrund der Veränderungen auf den internationalen Finanz- und Kapitalmärkte gesehen werden, die Rückwirkungen auch auf die westdeutsche Industrie hatten und Reformdruck erzeugten. Die Bundesrepublik war für Ostdeutschland zwar Referenzgröße beim ökonomischen Umbruch; sie veränderte sich aber gleichzeitig als Zielgröße. Die Bonner Republik befand sich ebenfalls in einem Strukturwandel, der etwa im Bergbau Ende der 1950er Jahre einsetzte und erst Ende der 2010er Jahre zum Abschluss kam. Dieser Prozess traf im Übrigen alle westlichen Industrienationen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bzw. ab 1992 der Europäischen Union musste eine gemeinsame Antwort auf die neuen Herausforderungen finden. Dabei ging es sowohl um die Regelung von Absatzkontingenten als auch um Subventionszahlungen. Insofern lässt sich von einer „doppelten Transformation“ (Heinrich Best/Everhard Holtmann) sprechen.

3. Die Treuhandanstalt zählt zu den umstrittensten Behörden der Bundesrepublik. Sie wurde zum Sinnbild für den wirtschaftlichen Niedergang Ostdeutschlands. Wie würden Sie die Rolle der Treuhandanstalt am Ende Ihres Forschungsprojekts beschreiben?


Die Treuhandanstalt war in der friedlichen Revolution zunächst ein Hoffnungsträger. Erst unter dem Eindruck der rasanten ökonomischen Talfahrt in Ostdeutschland ab Ende 1990 wandelte sich ihr öffentliches Bild, das bis heute prägend ist. Die Ergebnisse des IfZ-Forschungsprojekts zeigen, dass die Treuhandanstalt eine überforderte Behörde war, die von Seiten der Politik immer mehr Aufgaben zugewiesen bekam, die ursprünglich nicht vorgesehen waren. Sie war zuständig für die Privatisierung der volkseigenen Betriebe, die Umweltsanierung, die Aufstellung von Sozialplänen und ABM-Maßnahmen, die Regelung der Altschulden und den ökonomischen Strukturwandel. Dabei war sie – als nachgeordnete Behörde des Bundesfinanzministeriums – abhängig von rechtlichen Vorgaben und anderen Akteuren, also vor allem von der Bundesregierung, den ostdeutschen Landesregierungen und den  Tarifparteien. Die Privatisierung war letztlich ein Aushandlungsprozess zwischen diesen Akteuren, bei denen nicht nur betriebswirtschaftliche Kriterien eine Rolle spielten.

4. In Ihrem eigenen Teilprojekt haben Sie die Erfahrung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer untersucht. Was waren die einschneidendsten Folgen und warum wirken die Treuhandjahre bis heute so sehr nach?


Die Treuhandanstalt hat sich in Ostdeutschland tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Das hängt mit entsprechenden Erfahrungen und Enttäuschungen Anfang der 1990er Jahre zusammen, denn die öffentlichen Versprechungen westdeutscher Politiker – berühmt geworden in Helmut Kohls blühenden Landschaften – erfüllten sich nicht. Stattdessen war die Transformation mit einer Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit verbunden. Von den ursprünglich rund vier Millionen Industriearbeitsplätzen blieben nur etwa 1,5 Millionen übrig. Für viele Ostdeutsche ging aber nicht nur der sicher geglaubte Arbeitsplatz verloren, sondern auch die sozialistische Arbeitswelt. In der Ära Honecker hatte die DDR für die Beschäftigten eine sozialpolitische Rundumversorgung in den volkseigenen Betrieben ausgebaut – von den Kitas, den Polikliniken, den Ferienheimen bis hin zu Kulturhäusern. Dieses umfassende, DDR-spezifische Angebot, mit dem die SED-Führung Massenloyalität erzeugen wollte, fiel im Transformationsprozess Anfang der 1990er Jahre nahezu ersatzlos weg. Dadurch vergrößerten sich die Verlusterfahrungen und der Anpassungsdruck für viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern.

5. Was war das größte Defizit in der Arbeit der Treuhandanstalt, welche Fehler lassen sich erkennen und was wäre aus Ihrer Sicht notwendig gewesen, um die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft verträglicher zu gestalten?


In der westdeutschen Politik und Medienöffentlichkeit war bis zum Herbst 1990 die Meinung weit verbreitet, mit der Privatisierung der volkseigenen Betriebe ließen sich die Kosten der Einheit finanzieren. Steuerhöhungen seien nicht notwendig. Das war ein folgenschwerer Irrtum, denn die Verantwortung für den Schuldenberg, der sich in den 1990er Jahren anhäufte, wurde so der Treuhandanstalt und ihrer Privatisierungspolitik zugewiesen. Sie habe die ostdeutschen Betriebe unter Wert verkauft, so ein oft geäußerter Vorwurf. Über die Verteilung der sozialen und ökonomischen Kosten der deutschen Einheit wurde im Vorfeld der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 in Ost und West mehrheitlich geschwiegen. Neben diesem kommunikativen Versagen, auf das die Treuhandanstalt keinen Einfluss hatte, gab es zweifellos Fehlentscheidungen, die aus der Tätigkeit der Behörde resultierten. Dazu gehörte vor allem die Vernachlässigung der Mittelstandspolitik, die nicht nur mit der Kapitalknappheit ostdeutscher Bewerber und der offenen Vermögensfrage bei zahlreichen Betriebsteilen und -grundstücken zusammenhing. Die Treuhandanstalt hätte zusammen mit der Politik sehr viel mehr für den Aufbau eines ostdeutschen Unternehmertums machen können. Bei dieser berechtigten Kritik muss allerdings der enorme Zeitdruck in Rechnung gestellt werden, dem sich damals zahlreiche Akteure ausgesetzt sahen. Und eine Erkenntnis ist insbesondere aus der historischen Rückschau zentral: Die Transformation einer ganzen Volkswirtschaft von der Plan- zur Marktwirtschaft war ein einmaliger Vorgang in der Geschichte moderner Industriegesellschaften und damit ohne historisches Vorbild.


Buchvorstellung

Die ersten beiden Bände "Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben" von Andreas Malycha und "Neue Unternehmer braucht das Land" von Max Trecker werden am 27. April in der Bundesstiftung Aufarbeitung vorgestellt:

Mittwoch, 27.4. 2022:
Im Laboratorium der Marktwirtschaft. Neue Forschungen zur Geschichte der Treuhandanstalt

Die Autoren

  • Andreas Malycha ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte.
  • Max Trecker war von 2017 bis 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte. Seit 2020 arbeitet er am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig.



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