Heft 3/2023

  • Katharina Stengel, Eine jüdische Stimme vor Gericht. Internationale jüdische Organisationen und die Etablierung der Nebenklage in NS-Prozessen (Aufsatz) Ins Heft gezoomt
  • Conrad Lay, Ein NS-Ideologe als „besonderer Glücksfall“. Die langen Kontinuitäten des Karl Epting (Aufsatz)
  • Robert Wolff, Blinde Flecken, Erzählungen, Mythen. Neue Perspektiven auf die Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 (Aufsatz) Artikel SZ
  • Craig Griffiths, „Schwul gleich links?“ Konservative Strömungen in der Schwulen­be­we­gung in Westdeutschland und den USA in den 1970er Jahren (Aufsatz)
  • Maximilian Kutzner, Das Institut für Zeitgeschichte und die Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher 1982/83 (Dokumentation)

 

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Abstracts

Katharina Stengel, Eine jüdische Stimme vor Gericht. Internationale jüdische Organisationen und die Etablierung der Nebenklage in NS-Prozessen

 

Die Einflussmöglichkeiten von Opfern der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Terrorherrschaft in den bundesdeutschen Strafverfahren gegen NS-Verbrecher waren sehr begrenzt, denn als Zeuginnen und Zeugen hatten sie den streng forma­li­sierten An­forderungen der Strafjustiz zu entsprechen. Seit den 1950er Jahren versuchten jü­dische Organisationen daher, über Nebenklagen in den Pro­zessen mehr Einfluss zu gewinnen und eigene Forderungen deutlich zu ar­ti­ku­lie­ren. Katharina Stengel zeichnet die teils kontroversen Diskussionen innerhalb der internationalen jüdischen Organisationen nach, untersucht die Bedeutung der Ne­benklage im Frankfurter Auschwitz-Prozess und einigen anderen NS-Verfahren und geht auf die wichtige, aber kaum bekannte Mithilfe der jüdischen Organisationen bei der Vorbereitung der Prozesse ein.

 


Conrad Lay, Ein NS-Ideologe als „besonderer Glücksfall“. Die langen Kontinuitäten des Karl Epting

 

Karl Epting war einer der wichtigsten Köpfe der intellektuellen Kollaboration im besetzten Paris der Jahre 1940 bis 1944. Wie der mit ihm befreundete Botschafter Otto Abetz so ver­wan­delte sich der als graue Eminenz der deutsch-französischen Kulturbeziehungen geltende Epting von einem scheinbar harmlosen Frankreich-Enthusiasten in einen rassistischen NS-Ideologen. Eptings Leben kennzeichnete eine doppelte Kontinuität: zunächst die Integration eines pietis­ti­schen Missionarssohns in das NS-Regime und anschließend die mü­he­lose Integration eines über­zeugten Nationalsozialisten und aggressiven Anti­se­miten in die Nachkriegsgesellschaft. In den 1960er Jahren galt der inzwischen zum Direktor eines humanistischen Gymnasiums avancierte Epting sogar als „besonderer Glücksfall“.

 


Robert Wolff, Blinde Flecken, Erzählungen, Mythen. Neue Perspektiven auf die Flugzeugentführung nach Entebbe 1976

 

Die Flugzeugentführung nach Entebbe im Sommer 1976 wird häufig neben dem versuchten Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969 als die schlimmste antisemitische Gewalttat des bundesdeutschen Linksterrorismus gewertet. Robert Wolff vertritt die These, dass es einer kritischen Überprüfung des Themenkomplexes Entebbe unter Berücksichtigung von bisher nicht beachteten, jedoch für das Gesamtverständnis der Ereignisse wichtigen Perspektiven und Quellen bedarf. Dazu analysiert er auf der Basis weitgehend unbekannter Dokumente die Vorgeschichte der Flug­zeugentführung sowie die Ereignisse in Entebbe zwischen dem 27. Juni und dem 4. Juli 1976.

 


Craig Griffiths, „Schwul gleich links?“ Konservative Strömungen in der Schwulen­be­we­gung in Westdeutschland und den USA in den 1970er Jahren

 

Die Geschichte schwuler Befreiung in den 1970er Jahren ist bisher hauptsächlich aus dem Blick­winkel radikaler oder links-alternativer Aktivisten erzählt worden, mit einem Fokus auf Grup­pen wie der Gay Liberation Front in New York oder der Homosexuellen Aktion Westber­lin. Um dieses Narrativ zu differenzieren, analysiert der Autor Kulturen des Kon­ser­va­ti­ven in der Schwulenbewegung der 1970er Jahre durch einen Vergleich der Bundesrepublik mit den USA. Craig Griffiths beleuchtet Diskurse über Verantwortung und Vorsicht näher und kon­zen­triert sich darauf, dass es schwule Männer gab, die sich als normal und vernünftig cha­rak­terisierten. Sie lehnten Konfrontation oder Extravaganz ab, und schon darin zeigt sich, dass Begriffe wie Befreiung, Emanzipation oder sogar gay power keine festen Bedeutungen hat­ten – schon gar nicht solche, die ausschließlich radikal oder konservativ gewesen wären.

 


Maximilian Kutzner, Das Institut für Zeitgeschichte und die Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher 1982/83

 

Die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher im April 1983 löste unter den bundes­deut­schen Historikern erregte Diskussionen aus. Konnten die Tage­bücher überhaupt echt sein? Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) war bereits vor ihrer Ver­öffentlichung in Kontakt mit maß­geblichen Akteuren des späteren Skandals. In der Phase zwischen der Ankündigung des Funds und der Entlarvung als Fälschung spielten sich vielschichtige Prozesse der Selbstverortung in der Institutsleitung ab. Die Dokumente aus dem IfZ-Archiv zeigen, dass die gefälschten Ta­ge­bü­cher auch ein Prüfstein für die gesellschaftliche Rolle der Zeitgeschichte und ihrer maß­geb­li­chen Vertreter waren.

 



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